Christ­church, die Neue Rechte und das Internet

Can­ter­bury Mosque, Christchurch

Das Welt­bild des Atten­tä­ters von Christ­church erin­nert in vielem an die Neue Rechte. Doch das ist nicht der einzige ernst zu neh­mende Einfluss.

Schon vor dem Ter­ror­an­griff auf zwei Moscheen in Christ­church, Neu­see­land, am 15. März 2019 macht ein Mani­fest die Runde, das dem Angrei­fer zuge­schrie­ben wird. Es trägt den Titel „The Great Repla­ce­ment“ – zu Deutsch: Der große Aus­tausch. Das ist einer der zen­tra­len Begriffe der Neuen Rechten und wurde geprägt vom neu­rech­ten Vor­den­ker Renaud Camus.

Die Par­al­le­len zum radi­ka­len rechten Spek­trum sind nahe­lie­gend und werden ent­spre­chend von ver­schie­de­nen Medien gezogen. Ebenso wenig über­ra­schend sind die Distan­zie­rungs­be­mü­hun­gen rechter Akteure selbst. So machte Martin Sellner, Co-Leiter der öster­rei­chi­schen Iden­ti­tä­ren Bewe­gung, noch am selben Abend einen Video­stream, in dem er sich von dem Atten­tä­ter distanzierte.

Kern seiner Bot­schaft: Es ent­behre jeg­li­cher Grund­lage, Patrio­ten eine Nähe zum Angrei­fer von Christ­church zu unter­stel­len, denn diese hätten nie zu solchen Taten auf­ge­ru­fen. Der Täter sei ein „Rechts­extre­mist“ und „Rechts­ter­ro­rist“, der zwar den Begriff des „Großen Aus­tauschs“ ver­wende, darüber hinaus aber kei­ner­lei ideo­lo­gi­sche Nähe zur Iden­ti­tä­ren Bewe­gung und Neuen Rechten aufweise.

Bei der Lektüre des so genann­ten Mani­fests ergibt sich jedoch ein gänz­lich anderes Bild. Zwar ist es richtig, dass sich der Angrei­fer nicht als „Eth­no­plu­ra­list“ bezeich­net. Doch seine Aus­las­sun­gen zu seiner Selbst­be­schrei­bung als „Ethno-Natio­na­lis­ten“ weisen kaum Unter­schiede zum neu­rech­ten Begriff auf.

So schreibt er, sein Angriff sei nicht gegen Diver­si­tät gerich­tet gewesen, sondern im Namen von Diver­si­tät gesche­hen (S. 14). Außer­dem ist zu lesen: „Ich wünsche den ver­schie­de­nen Völkern der Welt nur das Beste – unab­hän­gig von ihrer Eth­ni­zi­tät, Rasse, Kultur des Glau­bens – und dass sie in Frieden und Wohl­stand leben. Unter sich, ihre eigenen Tra­di­tio­nen pfle­gend, in ihren eigenen Natio­nen.“ (S. 13)* Dies ist quasi der Grund­satz des Eth­no­plu­ra­lis­mus. Jedes Volk solle fried­lich für sich leben, solange es dieses in den eigenen Grenzen tut. Ver­mi­schung wird hin­ge­gen abge­lehnt. Ein Credo, das von ver­schie­de­nen Ver­tre­tern des Ver­fas­sungs­schut­zes als Neu­auf­lage eines „Deutsch­land den Deut­schen“ bezeich­net wird. Nichts­des­to­trotz ist hier durch­aus ein Unter­schied fest­zu­stel­len: Der Atten­tä­ter schreibt in seinem Mani­fest viel­fach von „race“, also Rasse. Er bezieht sich expli­zit auf die „14 Words“ des ame­ri­ka­ni­schen Ras­sis­ten David Eden Lane, in denen es um die Zukunft der ari­schen Rasse geht. Die Neue Rechte hin­ge­gen ver­mei­det in der Regel den Bezug auf offenen Ras­sis­mus und das Han­tie­ren mit Begrif­fen wie „Rasse“. 

Die Nähe zu Ernst Jünger ist nicht zu übersehen

Der Radi­ka­li­sie­rung des Täters war offen­sicht­lich das Bild des männ­li­chen Heroen zuträg­lich, der die Zukunft seiner „Rasse“ ohne Scheu vor Gefah­ren ver­tei­digt. Dieser Hero­is­mus ist ebenso ein wich­ti­ger Bestand­teil des neu­rech­ten Welt­bil­des, das unter Bezug­nahme auf Ernst Jünger und Armin Mohler den sich auf­op­fern­den Sol­da­ten zele­briert. Eine gewisse Nähe zu Ernst Jüngers „heroi­schem Rea­lis­mus“ ist jeden­falls nicht zu über­se­hen, wenn der Atten­tä­ter schreibt: „Erwar­tet Tod, erwar­tet Kampf, erwar­tet Verlust, den ihr niemals ver­gesst. Erwar­tet nicht, zu über­le­ben. Das einzige, was zu erwar­ten ist, ist der wahre Krieg und den Tod eines wahren Sol­da­ten zu sterben.“ (S. 42) Jünger selbst hatte diese Haltung unter anderem so beschrie­ben: „Die Tugend, die diesem Zustande ange­mes­sen ist, ist die des heroi­schen Rea­lis­mus, der selbst durch die Aus­sicht der völ­li­gen Ver­nich­tung und der Hoff­nungs­lo­sig­keit seiner Anstren­gun­gen nicht zu erschüt­tern ist.“

Dass Martin Sellner keine weitere ideo­lo­gi­sche Über­schnei­dung zwi­schen der Neuen Rechten und dem Atten­tä­ter von Christ­church erken­nen will, ist wenig glaub­haft. Schließ­lich nimmt der Täter Bezug auf einen der wich­tigs­ten Slogans und Demo­sprü­che der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung: „Europa, Jugend, Recon­quista“. Das rechte Troll­netz­werk, das 2017 ver­suchte, Ein­fluss auf die Bun­des­tags­wahl zu nehmen, nennt sich „Recon­quista Ger­ma­nica“. Gemeint ist mit dem Begriff der Recon­quista stets der Kampf der Spanier und Por­tu­gie­sen gegen die Aus­deh­nung des mus­li­mi­schen Macht­be­rei­ches im Mit­tel­al­ter. Die Iden­ti­tä­ren sehen sich in der Tra­di­tion dieses Ver­tei­di­gungs­kamp­fes. Ebenso gilt die Ver­tei­di­gung Wiens gegen das Osma­ni­sche Reich den Neu­rech­ten als wich­ti­ger Bezugs­punkt. Damit sind sie nicht allein: Auf den Waffen und den dazu­ge­hö­ri­gen Maga­zi­nen des Atten­tä­ters von Christ­church sind unzäh­lige Namen, Daten und Abkür­zun­gen geschrie­ben – dar­un­ter „Vienna 1683“, „Karl Martell“, ein Akteur der his­to­ri­schen Recon­quista, oder „Lepanto 1571“, das Datum einer See­schlacht christ­li­cher Mächte gegen das Osma­ni­sche Reich. Man teilt sich hier offen­sicht­lich den glei­chen geschicht­li­chen Pathos.

Und man teilt den stra­te­gi­schen Grund­an­satz, eine pola­ri­sierte Gesell­schaft zur Aus­gangs­si­tua­tion der eigenen Aktion zu machen – auch wenn sich die gewähl­ten Mittel zwei­fels­ohne unter­schei­den. So zeich­net der Ter­ro­rist mehrere Linien seiner Stra­te­gie nach, die auf ein Gesell­schafts­bild schlie­ßen lassen, das sich so auch in der Neuen Rechten wie­der­fin­den lässt. Sein Ziel war es demnach, „eine Atmo­sphäre der Angst und des Wandels zu erschaf­fen, in der dras­ti­sche, macht­volle und revo­lu­tio­näre Aktio­nen möglich werden.“ (S. 6) Sta­bi­li­tät und Sicher­heit seien die Feinde des revo­lu­tio­nä­ren Wandels. Man müsse daher die Gesell­schaft desta­bi­li­sie­ren und ver­un­si­chern, wo immer es möglich sei. „Wenn wir die Gesell­schaft radikal und fun­da­men­tal ändern wollen, dann müssen wir die Gesell­schaft so stark wie möglich radi­ka­li­sie­ren.“ (S. 66) Es geht darum, die Gesell­schaft zu spalten und die sich auf­tu­en­den Fronten zu ver­här­ten, um im besten Falle bür­ger­kriegs­ähn­li­che Zustände her­zu­stel­len. (S. 6)

Die Neue Rechte redet den Bür­ger­krieg herbei

Etwas, das so oder so ähnlich, auch Leuten wie dem neu­rech­ten Ideo­lo­gen Götz Kubit­schek vor­schwebt, der zum Bei­spiel in einer Rede for­derte, der Riss durch die Gesell­schaft müsse noch tiefer werden. In seiner Zeit­schrift Sezes­sion schrieb er mit Bezug auf angeb­li­chen Rechts­brü­che der Bun­des­re­gie­rung: „Wenn Anar­chie herrscht, wo es eine Rechts­ord­nung gibt, die man pro­blem­los umset­zen könnte, muß man als Ver­tei­di­ger der Ordnung und als Gegner der Willkür jeden Konsens stören, der sich in der Politik oder auf einem Podium breit­zu­ma­chen anschickt. Man muß den Riß begrü­ßen wie der Geologe einen Auf­schluß am Gestein.“

Es geht also auch der Neuen Rechte um die Spal­tung der Gesell­schaft, wenn­gleich hier nicht von Gewalt­ta­ten die Rede ist, sondern eher von dis­kur­si­ven und „meta­po­li­ti­schen“ Stra­te­gien. Der (kom­mende) Bür­ger­krieg wird her­bei­ge­re­det. Und viel­leicht ist genau das der Punkt, der am wich­tigs­ten ist. Die ideo­lo­gi­sche Nähe des Atten­tä­ters von Christ­church zur Neuen Rechten und zur radi­ka­len Rechten allein erklärt nicht, wie es zu dieser Tat kommen konnte. Es gibt keine Kau­sa­li­tät zwi­schen Ras­sis­mus und Terrorismus.

Es ist daher von­nö­ten, weitere Ein­flüsse auf den Täter in den Blick zu nehmen. Wie inzwi­schen ver­schie­dene Medien auf­ge­zeigt haben, stammt der Täter aus der Troll­szene, die vor allem auf den anony­men Foren 4chan und 8chan behei­ma­tet ist. Der Verweis auf ver­schie­dene Memes im Mani­fest und auch während der Live­über­tra­gung der Tat geben darüber Auf­schluss. Der Angrei­fer kün­digte seine Tat auf 8chan an, ver­linkte sein Mani­fest und Face­book­pro­fil, auf dem er die Tat streamte. Dort sitzt sein Publikum.

Die Echt­zeit­über­tra­gung des Mas­sa­kers war eine Insze­nie­rung für das Inter­net und wird hier ent­spre­chend eupho­risch auf­ge­nom­men. Schon jetzt sehnt man dort Nach­ah­mern ent­ge­gen. Schon jetzt gibt es Memes mit Bildern aus dem Live­stream, inklu­sive einer Person, die hilflos auf der Straße liegend aus nächs­ter Nähe exe­ku­tiert wird. Schon jetzt gibt es eine Christ­church-Version des Comic­fro­sches Pepe, der als Symbol der Alt-Right in den USA gilt. Will man die Beweg­gründe und vor allem das Vor­ge­hen des Täters besser ver­ste­hen, muss sich der Blick auf diese Nische im Inter­net richten.

Denn: Die Troll­szene ist keine unpo­li­ti­sche. Das haben Ereig­nisse wie die so genannte Gamer­gate-Kon­tro­verse oder auch der Prä­si­dent­schafts­wahl­kampf in den USA 2016 gezeigt, als Inter­net­trol­len eine nicht zu unter­schät­zende Rolle für den Erfolg Donald Trumps zuge­schrie­ben wurde. Die Spal­tung der Gesell­schaft, wie sie dem Atten­tä­ter und auch der Neuen Rechten vor­schwebt, wie sie von Donald Trump und anderen Repu­bli­ka­nern täglich for­ciert wird, sie wird auch hier im Inter­net tag­täg­lich herbeigesehnt.

Die Troll­kul­tur als per­fek­ter Nähr­bo­den für eine Radikalisierung

Dass diese Szene zu einer Radi­ka­li­sie­rung bei­tra­gen kann, zeigt Christ­church dabei nur aufs Neue. Es ist nicht das einzige Bei­spiel. Erin­nert sei nur an „Piz­zagate“, als ein Bewaff­ne­ter eine Piz­ze­ria stürmte, weil er dort einen angeb­lich von Hillary Clinton geführ­ten Kin­der­por­no­ring ver­mu­tete. Er saß damit einer Ver­schwö­rungs­theo­rie auf, die zuvor online gespon­nen wurde, um der Demo­kra­tin zu schaden. Oder auch an „0rbit“, den Hacker, der Anfang 2019 für das große Daten­leck ver­ant­wort­lich war und die Daten Hun­der­ter Politiker*innen und Pro­mi­nen­ter im Inter­net ver­öf­fent­lichte, und der stark geprägt war durch die deut­sche Troll­szene. Er ver­öf­fent­lichte vor allem private Daten von Per­so­nen, die in dieser Sub­kul­tur abge­lehnt werden. 

Auf diese Szene zielt nun der Atten­tä­ter. Indem er sie direkt adres­siert, ihre Codes ver­wen­det, sich als Teil der­sel­ben sieht, ver­sucht er beson­ders hier Reso­nanz zu erzeu­gen. Er will genau hier Nach­ah­mer und Mit­strei­ter gewin­nen. Seine live über­tra­gene Tat dient damit dem Zweck, seiner Bot­schaft größt­mög­li­che Auf­merk­sam­keit zu ver­schaf­fen. Dass es schon jetzt hul­di­gende Bild­chen und Videos zum Christ­church-Terror gibt, lässt befürch­ten, dass diese Stra­te­gie aufgeht. Während Anders Breivik noch auf ein eher schwer zugäng­li­ches tau­send­sei­ti­ges Mani­fest setzte, nutzt sein Nach­ah­mer die viralen Fähig­kei­ten des Netzes. Die ras­sis­ti­sche, frau­en­feind­li­che, anti­se­mi­ti­sche und isla­mo­phobe 4chan-Szene und ihre Ver­schwö­rungs­theo­rien sind dabei der per­fekte Nähr­bo­den für eine Form des Hasses, der auch in Gewalt­ta­ten umge­setzt wird.

Es ist deshalb richtig, dass im Jour­na­lis­mus über die eigene Bedeu­tung bei der Insze­nie­rung von Ter­ro­ris­ten nach­ge­dacht wird. Jacinda Ardern, Pre­mier­mi­nis­te­rin Neu­see­lands, machte deut­lich, dass man den Namen des Täters aus ihrem Mund nicht hören werde. Es ist ein wich­ti­ger Schritt, einer Mythi­sie­rung des Angrei­fers ent­ge­gen zu wirken. Ein weiter könnte sein, soziale Platt­for­men an ihre Ver­ant­wor­tung zu erin­nern. So gibt Face­book zwar an, 1,5 Mil­lio­nen Kopien des Live-Videos gelöscht zu haben – aller­dings erst nach 20 Minuten. Früher seien keine Mel­dun­gen ein­ge­gan­gen. Eine wenig über­zeu­gende Begrün­dung. Ange­sichts der tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten der Platt­form kann davon aus­ge­gan­gen werden, dass die späte Reak­tion eher auf man­geln­des Pro­blem­be­wusst­sein und Enga­ge­ment zurück­zu­füh­ren ist.

*Die Zitate aus dem so genann­ten Mani­fest wurden aus dem Eng­li­schen übersetzt.

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