Die AfD steht am Scheideweg

Dr. Gott­fried Curio. Foto: Wedding-Hendrik [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]

Die Abstim­mung über die „Unver­ein­bar­keits­liste“ beim AfD-Par­tei­tag ist keine Lap­pa­lie. Am Wochen­ende ent­schei­det sich, ob die AfD für die gesell­schaft­li­che Mitte anschluss­fä­hig bleibt oder in Extre­mis­mus abdrif­tet. Ein Kommentar.

Neulich beschwerte sich eine Leserin auf Face­book über eine Analyse, die ich zu einem Gesprächs­band mit Björn Höcke ver­fasst hatte. Die Beschwer­de­füh­re­rin nannte es eine „Lüge, Herr Höcke wolle den Füh­rer­staat oder die Demo­kra­tie abschaf­fen,“ und die werde auch „nicht wahrer auch wenn Sie es immer wie­der­ho­len.“ Genau diesen Nach­weis hatte ich aber in der Analyse zu erbrin­gen ver­sucht. Die Frau machte viel­mehr die „Alt­par­teien“ dafür ver­ant­wort­lich, die Demo­kra­tie abzu­schaf­fen. „Hören Sie nur auf, ihr spaltet und nicht die AFD“, gab sie mir mit auf den Weg.

Man mag solche Äuße­run­gen als Folge von Ver­blen­dung oder ver­scho­bene Wahr­neh­mung ansehen. Klar wird aber, dass die Frau die AfD und den wohl bekann­tes­ten Ver­tre­ter des völ­ki­schen „Flügels“ nicht als Radi­kale wahr­nimmt. Viel­mehr gilt hier die AfD als Kraft, die eine ver­lo­ren geglaubte Ordnung wie­der­her­stel­len kann. In dieser Sicht­weise sind manche sicher bereit, über Extrem­fälle geflis­sent­lich hin­weg­zu­se­hen, wenn die Gesamt­rich­tung stimmt. Die Ableh­nung des „Estab­lish­ments“ ist so stark, dass eine große Tole­ranz gegen­über Ent­glei­sun­gen und Grenz­ver­let­zun­gen besteht.

Nun mag man ein­wen­den, dass gerade deshalb die am Wochen­ende auf dem AfD-Par­tei­tag dro­hende Abschaf­fung des „Unver­ein­bar­keits­be­schlus­ses“ völlig irrele­vant ist – zum einen, weil eben die Tole­ranz der Anhän­ger gegen­über extre­mis­ti­schen Aus­wüch­sen ohnehin über­groß ist, zum anderen, weil der Beschluss ange­sichts etli­cher, doku­men­tier­ter Fälle ohnehin nicht mehr als Maku­la­tur ist.

Aber die seit Jahren schwe­lende Aus­ein­an­der­set­zung über einen gemä­ßig­te­ren und radi­ka­len Kurs der Partei exis­tiert nicht ohne Grund. In gewohn­ter Regel­mä­ßig­keit stoßen der neu­rechte Spin­dok­tor Götz Kubit­schek als Mentor von Björn Höcke und seines „Flügels“ und Dieter Stein von der Zeit­schrift „Junge Frei­heit“ an der Frage anein­an­der, ob die AfD sich nach rechts­au­ßen abgren­zen und den Brü­cken­schlag ins bür­ger­lich-kon­ser­va­tive Lager schla­gen sollte. Kubit­schek lästert hierbei übli­cher­weise über den „poli­ti­schen Wasch­zwang“ Dieter Steins. Offen­sicht­lich gibt es unter­schied­li­che stra­te­gi­sche Ein­schät­zun­gen, was den Erfolg der Partei sicher­stellt oder gefähr­den könnte.

Die AfD ist doch aber stärker, als die NPD es je war, weil sie eben keine ein­deu­tig recht­ex­treme Partei wie die NPD ist – oder zumin­dest einen solchen Ein­druck (bislang) erfolg­reich ver­mei­det. Und selbst die Idee, in den Kom­men­tie­run­gen nach den Land­tags­wah­len in Sachsen und Bran­den­burg für die eigene Partei den Begriff „bür­ger­lich“ zu eta­blie­ren, schrieb Alice Weidel kürz­lich Götz Kubit­schek zu. Höcke machte nach der Thü­rin­gen­wahl dieses Ver­steck­spiel ebenso mit, was seine par­tei­in­terne Aus­ein­an­der­set­zung um eine Stär­kung völ­ki­scher Ideen wenig kon­sis­tent erschei­nen lässt.

Hinter dem Bemühen, die AfD als „bür­ger­lich“ dar­zu­stel­len, steht der Versuch, weniger radikal zu wirken und damit anschluss­fä­hig für die Mitte der Gesell­schaft zu werden. Das ist ziem­lich genau das Konzept der „kul­tu­rel­len Hege­mo­nie“, das die neue Rechte erklär­ter­ma­ßen dem Kom­mu­nis­ten Antonio Gramsci ent­lehnt hat. Der Neonazi von heute trägt nicht mehr Sprin­ger­stie­fel, Bom­ber­ja­cke und Base­ball­schlä­ger sondern moderne Under­cut-Hipster-Fri­su­ren, kreiert mode­kom­pa­ti­ble Logos wie das Lambda-Symbol der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung und ver­an­stal­tet Koch­shows auf Insta­gram – alles mit dem Ziel, die ras­sis­ti­schen und anti­de­mo­kra­ti­schen Ideen in die gesell­schaft­li­che Mitte zu tragen und dort salon­fä­hig zu machen.

Inso­fern ist die Auf­he­bung der Unver­ein­bar­keit von AfD-Mit­glied­schaft und Iden­ti­tä­rer Bewe­gung viel­leicht nur kon­se­quent, bedie­nen doch beide das gleiche Konzept des Wolfs im Schafs­pelz. Aber die Iden­ti­tä­ren sind inzwi­schen offi­zi­ell vom Ver­fas­sungs­schutz als recht­ex­trem ein­ge­stuft worden und damit ver­brannt. Das erklärt auch die wütende Empö­rung von Höcke und Kubit­schek über die Ein­stu­fung des „Flügels“ durch den Ver­fas­sungs­schutz als „Ver­dachts­fall“. Denn sie wissen, dass das amt­li­che Siegel als „rechts­extrem“ die hoch­tra­ben­den poli­ti­schen Hoff­nun­gen gefähr­den kann.

In diesem Sinne steht die AfD am Wochen­ende auch ein Stück am Schei­de­weg. Die Partei ist in Unruhe. Der Vor­sit­zende Gauland wird erst zum Rückzug gedrängt, um dann im Deutsch­land­funk zu erklä­ren, er halte sich eine erneute Kan­di­da­tur offen – mög­li­cher­weise um eine Wahl des Rechts­au­ßen Gott­fried Curio zum Vor­sit­zen­den zu ver­hin­dern. Es bleibt abzu­war­ten, wie stark der völ­ki­sche „Flügel“ um Höcke ist und ob eine Macht­über­nahme der radi­ka­le­ren Kräfte die Partei viel­leicht stärker an den poli­ti­schen Rand schiebt. Aus­schlie­ßen kann man das nicht.

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