Die Politik der Emotionen

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Rechten Stra­te­gen geht es nicht um poli­ti­sche Argu­mente, sondern um das Schüren von Emo­tio­nen. Sie sind erfolg­reich, weil sie Lei­den­schaf­ten mobi­li­sie­ren und Men­schen in einen Zustand von Erre­gung und Hass versetzen.

Seit Jahren wird ver­sucht, den Rechts­po­pu­lis­mus argu­men­ta­tiv zu ent­lar­ven. Rechts­po­pu­lis­ti­sche Wortführer_​innen wurden inter­viewt, auf Podien gebeten und in Talk­shows ein­ge­la­den. Inzwi­schen ist klar: Sie wurden argu­men­ta­tiv ent­kräf­tet, aber je mehr AfD und Co. zu sehen waren, desto mehr wurden sie gewählt. Rechtspopulist_​innen gewin­nen ihre Sym­pa­thien nicht, weil niemand sie wider­le­gen kann; sie gewin­nen Sym­pa­thien, weil sie irra­tio­nale Posi­tio­nen ver­tre­ten. Sie sind erfolg­reich, weil sie Wahn­sys­teme (Adorno) statt Argu­mente anbie­ten, weil sie Lei­den­schaf­ten mobi­li­sie­ren und Men­schen in einen Zustand von Erre­gung und Hass versetzen.

Gemäß dem His­to­ri­ker Robert O. Paxton (Ana­to­mie des Faschis­mus) gründet der Faschis­mus auf „mani­pu­lier­tem Mas­sen­en­thu­si­as­mus“. Es handle sich dabei nicht bloß um eine Methode der Macht­er­rin­gung, sondern um den Grund­zug faschis­ti­scher Ideo­lo­gie selbst. Während andere auto­ri­täre Régime grund­sätz­lich bemüht seien, die Bevöl­ke­rung zu demo­bi­li­sie­ren und zu pas­si­vie­ren, sei es wesent­lich für den Faschis­mus, sie in Erre­gung zu ver­set­zen. Auch Theodor W. Adorno bemerkte in seinem jüngst ver­öf­fent­lich­ten Vortrag über die Aspekte des neuen Rechts­ra­di­ka­lis­mus (1967): Die pro­pa­gan­dis­ti­schen Mittel der Auf­het­zung sind die Sub­stanz faschis­ti­scher Politik. Es handle sich um eine Technik der Mas­sen­mo­bi­li­sie­rung ohne kon­sis­tente Theorie.

Das funk­tio­niert auch im Rahmen von demo­kra­ti­schen Regeln. Man muss keine ent­hemm­ten, ein­deu­tig rechts­extre­men oder ver­fas­sungs­feind­li­chen Dinge sagen. Im Gegen­teil: Die rechts­po­pu­lis­ti­sche Pro­pa­ganda der Gefühle gibt sich nicht selten expli­zit bür­ger­lich, demo­kra­tienah und ver­fas­sungs­kon­form. Man insze­niert sich sogar als Ver­tre­ter der „wahren Demo­kra­tie“; als die­je­ni­gen, die das „gesunde Volks­emp­fin­den“ wirk­lich ernst nehmen. Erre­gung wird nicht mit Geset­zes­brü­chen ent­fes­selt, viel­mehr reichen Anspie­lun­gen und vage Zuschreibungen.

Der Sozio­loge Leo Löwen­thal ana­ly­sierte 1949 (Falsche Pro­phe­ten) die inhalt­lich relativ leeren faschis­ti­schen Pro­pa­gan­da­tech­ni­ken und stellte fest, dass sich faschis­ti­sche Pre­di­ger zwar per­ma­nent über die Unfä­hig­keit der Repräsentant_​innen des Systems aus­las­sen, jedoch selbst keine wirk­li­chen poli­ti­schen Alter­na­ti­ven for­mu­lier­ten. Viel­mehr blieben ihre Vor­schläge äußerst vage, man for­derte ledig­lich, mit den herr­schen­den Eliten „auf­zu­räu­men“ – ein Ver­spre­chen, mit dem auch Donald Trump an die Macht kam.

Der Erfolg dieser Art Mobi­li­sie­rung beruht also eher auf einer „Bauch- als einer Kopf­an­ge­le­gen­heit“ (Paxton). Anders als bei­spiels­weise beim Kom­mu­nis­mus bezie­hungs­weise Sozia­lis­mus gebe es, so Paxton, kein „umfas­sen­des phi­lo­so­phi­sches System als Unter­bau“, sondern ledig­lich einen „Nebel von unter­schwel­li­gen Ein­stel­lun­gen, Gefüh­len und Leidenschaften“.

Gleich­wohl ist es kein aus­schließ­li­ches Merkmal des Faschis­mus oder des rechten Popu­lis­mus, Gefühle anzu­spre­chen. Die Politik der Emo­tio­nen ist ein Merkmal jeg­li­cher poli­ti­schen Couleur, Emo­tio­nen sind ebenso für demo­kra­ti­sche Poli­ti­ken zentral und auch nicht per se pro­ble­ma­tisch. Es gibt aber eine spe­zi­fisch faschis­ti­sche bezie­hungs­weise rechts­po­pu­lis­ti­sche Gefühls­po­li­tik, wie Robert Müller in seinem lesens­wer­ten Text über Res­sen­ti­ment und Faschis­mus ausführt.

Ihr Cha­rak­te­ris­ti­kum ist zum einen wie erwähnt, dass sie kaum kon­sis­tente poli­ti­sche, gesamt­ge­sell­schaft­li­che Ziele hat. Diese Gefühls­po­li­tik will keinen sta­bi­len Hand­lungs­rah­men, denn gerade ihre diffuse, schwan­kende und fle­xi­ble Erre­gungs­po­li­tik ermög­licht die Mobi­li­sie­rung der Massen, die es zur Macht­er­rin­gung braucht (Goeb­bels pro­kla­mierte, man müsse je nach Ziel­gruppe fle­xi­ble Ange­bote machen). Auf­het­zung erfor­dert keine inhalt­li­chen Pro­gramme, es reicht, einen Feind oder Feinde aus­zu­ma­chen und diesen eine über­höhte Grup­pen­iden­ti­tät (Volks­ge­mein­schaft) entgegenzustellen.

In diesem Zusam­men­hang ist, wie Müller weiter aus­führt, das Ando­cken an Res­sen­ti­ments ein zen­tra­ler Aspekt der faschis­ti­schen Gefühls­po­li­tik so wie auch der aktu­el­len rechts­po­pu­lis­ti­schen Pro­pa­ganda. Res­sen­ti­ments sind dazu geeig­net, faschis­tisch auf­ge­la­den und instru­men­ta­li­siert zu werden.

Am Anfang des Res­sen­ti­ments stehen Gefühle wie Frus­tra­tion, Ängste, Schwä­che, Ver­bit­te­rung und Wut. Es sind Gefühle, die viele Men­schen haben und oft auch zurecht: Ver­un­si­che­rung, Erfah­run­gen von Schwä­che, Sinn­lo­sig­keit, Dis­kri­mi­nie­rung, Ein­sam­keit und Pre­ka­ri­tät haben durch­aus eine reale und ratio­nale Grund­lage. Wahr ist auch, dass Politik zum Teil auf leeren Ver­spre­chun­gen basiert, und dass Men­schen ver­nach­läs­sigt werden und zu kurz kommen. Diese Erfah­run­gen und Gefühle werden jedoch in der res­sen­ti­men­ta­len Logik in eine falsche, das heißt ver­ein­fa­chende Inter­pre­ta­tion von Ursa­chen und in Feind­bild­kon­struk­tio­nen überführt.

Das Res­sen­ti­ment hat Müller zufolge das Poten­zial, Mas­sen­er­re­gun­gen zu ent­fa­chen, weil es seine Kraft aus unmit­tel­ba­ren Gefühls­auf­wal­lun­gen zieht. Das Res­sen­ti­ment lebt von einer kruden Freund-Feind-Logik, richtet den Fokus auf Ant­ago­nis­men, auf Unfrie­den, Feind­schaft und Her­ab­wür­di­gung von Anderen. Alle mög­li­chen Anderen werden von der res­sen­ti­men­ta­len Per­sön­lich­keit zur Quelle der per­sön­li­chen Not gemacht. Eng damit ver­bun­den ist ferner ein unbe­ding­tes Bedürf­nis nach Sta­bi­li­sie­rung des als beschä­digt emp­fun­de­nen Selbsts; das Bedürf­nis, in der Abgren­zung von Anderen das Eigene zu betonen, wie Müller ausführt.

Gleich­wohl ist das Res­sen­ti­ment selbst nicht faschis­tisch oder per se ideo­lo­gisch. Res­sen­ti­ment und Faschis­mus sind nicht ein und das­selbe. Aber, wie Müller for­mu­liert: Res­sen­ti­ments erwei­sen sich als struk­tu­rell beson­ders offen und anfäl­lig, im Sinne des Faschis­mus und des Rechts­po­pu­lis­mus auf­ge­la­den zu werden. Faschis­ti­sche und rechts­po­pu­lis­ti­sche Pro­pa­ganda bietet dem res­sen­ti­men­ta­len Selbst Feinde an (Geflüch­tete, Migran­ten, Juden, „die da oben“, die Medien, der Femi­nis­mus, die EU). Ferner bieten sie ihm an, sich als Teil einer exklu­si­ven, ver­meint­lich höher gestell­ten, genui­nen Grup­pen­iden­ti­tät zu begreifen.

In der faschis­ti­schen und rechts­po­pu­lis­ti­schen Politik der Res­sen­ti­ments geht es um die Maxi­mie­rung von Unter­schie­den und die Kon­sti­tu­ie­rung einer exklu­die­ren­den Grup­pen­iden­ti­tät, die in Segre­ga­tion, Ent­so­li­da­ri­sie­rung und natu­ra­li­sier­ter Ungleich­heit mündet. Rechts­po­pu­lis­ti­sche Pro­pa­ganda hebt bestehende oder ima­gi­nierte sprach­li­che, geschlecht­li­che, soziale, kul­tu­relle Ungleich­hei­ten als natür­lich, unver­än­der­lich, qua­li­ta­tiv und mora­lisch ver­schie­dene hervor (‚besser vs. schlech­ter‘) und über­treibt und über­höht diese zu unum­stöß­li­chen Wert­ka­te­go­rien (Müller). Die Maxi­mie­rung der Unter­schiede läuft auf eine klare Hier­ar­chie hinaus: Während das Eigene wert­voll und über­le­gen ist, ist alles andere unter­le­gen, min­der­wer­tig, abstoßend.

Auf diese Weise gibt es auch keine Ver­stän­di­gungs­mög­lich­kei­ten mehr zwi­schen den Polen – sie schlie­ßen sich aus. So zer­set­zend das Res­sen­ti­ment auf den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt wirkt, so sehr stärkt es den Zusam­men­halt der eigenen Anhän­ger­schaft. Pro­kla­miert wird eine Soli­da­ri­tät, die sich vor allem darüber defi­niert, wer von ihr aus­ge­schlos­sen ist. Diese Art Soli­da­ri­tät bedarf des Hass­ob­jek­tes, des Anti­po­den, eines stig­ma­ti­sier­ten, für den Hass frei­ge­ge­be­nen Gegen­übers. Ange­bo­ten wird ein Gemein­schafts­ge­fühl, das darauf beruht, dass Men­schen aus­ge­schlos­sen werden.

Rechten Stra­te­gen geht es nicht um poli­ti­sche Argu­mente, sondern um das Schüren von auto­ri­tä­ren Emo­tio­nen. Diese Politik lässt sich argu­men­ta­tiv nicht ent­kräf­ten oder ein­däm­men. Viel­mehr muss man ihr die Bühnen für ihre Pro­pa­ganda ent­zie­hen und ihr nur so viel mediale Öffent­lich­keit ein­räu­men, wie demo­kra­tisch nötig.

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Lite­ra­tur:

Adorno, Theodor W. (2019) (orig. 1967): Aspekte des neuen Rechtsradikalismus

Löwen­thal, Leo (1982) (orig. 1949): Falsche Pro­phe­ten. Studien zur faschis­ti­schen Agi­ta­tion. Frank­furt a. M.

Müller, Robert (2019): Res­sen­ti­ment und Faschis­mus. In: Weiter denken. Journal für Phi­lo­so­phie (S. 15–22).

Paxton, Robert O. (2006): Ana­to­mie des Faschis­mus. München.

Schutz­bach, Fran­ziska (2019): Die Rhe­to­rik der Rechten. Rechts­po­pu­lis­ti­sche Dis­kurs­stra­te­gien im Über­blick. Zürich/​München.

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