Die Däni­sche Volks­par­tei siegte sich zu Tode

Unter der Führung von Mette Fre­de­rik­sen kam es zu einer Annä­he­rung zwi­schen den Sozi­al­de­mo­kra­ten und der Däni­schen Volks­par­tei. Foto: 360b/Shutterstock.com

Im ver­gan­ge­nen Jahr musste die Däni­sche Volks­par­tei massive Stimm­ein­bu­ßen hin­neh­men, die Sozi­al­de­mo­kra­ten gingen als Sieger aus der Wahl hervor. Doch zuvor war es den Rechts­po­pu­lis­ten gelun­gen, eine aus­län­der­feind­li­che Migra­ti­ons­po­li­tik zum Main­stream zu machen. Nun stehen noch extre­mere Par­teien bereit, um auf dem Erfolg der Däni­schen Volks­par­tei auf­zu­bauen. Ange­sichts des Auf­stiegs der AfD dient die Ent­wick­lung im Nach­bar­land als Warnung für Deutschland. 

Däne­mark wurde viel früher von jener rechten Welle heim­ge­sucht, die nun auch Deutsch­land und andere euro­päi­sche Staaten erfasst hat. Im Gegen­satz zu seinen Nach­bar­län­dern ist eine frem­den­feind­li­che und – für viele Aus­län­der – lebens­be­droh­li­che Asyl- und Immi­gra­ti­ons­po­li­tik längst zum Main­stream gewor­den. Bereits 16 Jahre vor dem Einzug der AfD in den Bun­des­tag defi­nierte die rechts­po­pu­lis­ti­sche Däni­sche Volks­par­tei die Ein­wan­de­rungs­po­li­tik des kleinen skan­di­na­vi­schen Landes. Weil der Rechts­ruck dort viel früher als in Deutsch­land erfolgte, lohnt ein genaue­rer Blick: Welche Erfah­run­gen hat Däne­mark gesam­melt? Welche Kon­se­quen­zen hat der Ein­fluss von rechts für Däne­mark? Wie haben die anderen Par­teien darauf reagiert? Was kann Deutsch­land aus der Ent­wick­lung im Nach­bar­land lernen?

In den Jahren 2001–2011 und 2015–2019 konnte die bür­ger­li­che Regie­rung die Mehr­heit im Par­la­ment nur mit der Unter­stüt­zung der Däni­schen Volks­par­tei erlan­gen. Und die Rechts­po­pu­lis­ten wussten das bestens aus­zu­nut­zen. Sie haben zwar oft für Gesetze gestimmt, die de facto gegen die Inter­es­sen ihre Wäh­ler­schaft, die sich selbst als „Glo­ba­li­sie­rungs­ver­lie­rer“ sehen, gerich­tet waren. Dafür haben sie eine der strengs­ten Gesetz­ge­bun­gen in Europa gegen Aus­län­der durch­set­zen können – und das, obwohl die Däni­sche Volks­par­tei nie Teil der Regie­rung war.

Die letzten Ver­schär­fun­gen der däni­schen Flücht­lings- und Inte­gra­ti­ons­po­li­tik erfolg­ten im Februar 2019. Der Schwer­punkt ist nun Abschie­bung statt Inte­gra­tion. [1] Die ent­spre­chen­den Gesetze bedeu­ten unter anderem, dass die Auf­ent­halts­er­laub­nis der Flücht­linge und der Fami­li­en­zu­sam­men­ge­führ­ten mög­lichst ent­zo­gen oder nicht ver­län­gert wird. Ihre monat­li­chen Leis­tun­gen vom Staat werden gekürzt. Bereits in den Jahren zuvor wurden die Regeln für die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung all­ge­mein deut­lich ver­schärft, so wie auch für das Recht auf Dau­er­auf­ent­halt und für die Erlan­gung der Staats­bür­ger­schaft. Nicht nur die bür­ger­li­chen Par­teien, sondern auch die Sozi­al­de­mo­kra­ten waren weit­ge­hend damit einverstanden.

Im Jahre 2016 sorgte Däne­mark für inter­na­tio­nale Empö­rung wegen eines neuen Geset­zes. Es erlaubte der Polizei, die Wert­sa­chen von Flücht­lin­gen direkt an der Grenze zu ent­neh­men. [2] Es wurde mit großer Mehr­heit im Par­la­ment ver­ab­schie­det. Unter anderen waren auch die Sozi­al­de­mo­kra­ten dafür. Der Ein­fluss der Däni­schen Volks­par­tei betrifft aber auch gewöhn­li­che Dänen. Viele däni­sche Staats­bür­ger haben nicht mehr das Recht, mit ihrem aus­län­di­schen Ehe­part­ner in Däne­mark zu leben.

Mit Unter­stüt­zung der Däni­schen Volks­par­tei gelang es 2017 der dama­li­gen Inte­gra­ti­ons­mi­nis­te­rin Inger Stø­j­berg von der kon­ser­va­tiv-libe­ra­len Partei Venstre die Ver­schär­fung des Immi­gra­ti­ons­ge­set­zes Nummer 50 durch­zu­füh­ren. Für sie war das Ereig­nis so erfreu­lich, dass sie es mit einer Torte feierte. [3] 2018 wurde beschlos­sen, abge­lehnte Asyl­be­wer­ber auf die öde Insel Lind­holm in der Ostsee zu ent­sen­den. [4] Nur Inger Stø­j­bergs Abgang als Inte­gra­ti­ons­mi­nis­ter im Jahr 2019 hat bisher eine Ver­wirk­li­chung der Pläne verhindert.

Auf­grund des psy­chi­schen Drucks, der Hoff­nungs­lo­sig­keit und der Tat­sa­che, dass Däne­mark Flücht­linge in Länder abschiebt, in denen sie von Ver­fol­gung bedroht sind, werden die Inter­nie­rungs­la­ger für Flücht­linge von häu­fi­gen Selbst­mor­den und Selbst­mord­ver­su­chen heim­ge­sucht. [5] Die Lager sind dafür berüch­tigt, bereits psy­chisch erkrankte Flücht­lings­kin­der weiter zu trau­ma­ti­sie­ren. Mehrere Medi­en­be­richte über ein­zelne Fälle von Tod oder lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen, in die die Asyl­be­wer­ber nach einer Abschie­bung aus Däne­mark hin­ein­ver­setzt wurden, haben nicht zu einer Ände­rung der däni­schen Asyl­po­li­tik geführt. Bei der Par­la­ments­wahl im Juni 2019 kam es jedoch zu einer anderen bemer­kens­wer­ten Entwicklung.

Nachdem sie die Migra­ti­ons­po­li­tik fast zwei Jahr­zehnte defi­nierte, gab das Wahl­er­geb­nis 2019 einen Hinweis darauf, dass der Lebens­zy­klus der Däni­schen Volks­par­tei mög­li­cher­weise am Ende ist. Die Unter­stüt­zung für die Partei ging von 21 auf weniger als 9 Prozent der Stimmen zurück. Der Nie­der­gang der Däni­schen Volks­par­tei bedeu­tete jedoch nicht, dass die Wähler ent­schei­dend gegen die Posi­tion der Partei Stel­lung nahmen. Viel­mehr war die Wahl­nie­der­lage ein Hinweis darauf, dass die Partei ihre Aufgabe voll­endet hatte. Im Laufe der Jahre hatten die anderen Par­teien einen Weg gefun­den, die Däni­sche Volks­par­tei aus­zu­ma­nö­vrie­ren: indem sie einfach die restrik­tive Immi­gra­ti­ons­po­li­tik über­nah­men. In diesem Licht siegte die Däni­sche Volks­par­tei sich zu Tode.

Auch die Sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Partei Däne­marks, die nach den Par­la­ments­wah­len 2019 die Regie­rung bildete, hat viele Jahre davor oft und mit wenigen Ein­wän­den für die Geset­zes­vor­schläge der Däni­schen Volks­par­tei gegen Aus­län­der abge­stimmt. Der Unter­schied zwi­schen den zwei Par­teien in diesem Bereich ist meist sym­bo­lisch. Für die Däni­sche Volks­par­tei war es immer wichtig, direkt und offen gegen Aus­län­der zu agi­tie­ren, um ihre Wähler und Wäh­le­rin­nen zufrie­den­zu­stel­len. Die Abnei­gung gegen Aus­län­der defi­nierte die Partei. Die Sozi­al­de­mo­kra­ten waren in ihrer Rhe­to­rik ein biss­chen nuan­cier­ter, haben aber gleich­zei­tig eine ganz ähn­li­che Politik ver­folgt. Gegen die Anbie­de­rung an die Däni­sche Volks­par­tei gab es jedoch einzeln Pro­teste inner­halb der Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Partei und darüber hinaus. So hat sich eine der größten Gewerk­schaf­ten Däne­marks kri­tisch dazu geäu­ßert [6] und einige Mit­glie­der haben aus Protest die Partei ver­las­sen. [7] Die Kri­ti­ker ver­moch­ten es aber nicht, den all­ge­mei­nen Kurs zu ändern.

Gleich­zei­tig zer­störte die Ent­ste­hung der Par­teien Nye Bor­ger­lige und Stram Kurs die Hoff­nung der­je­ni­gen, die dachten, dass der Rechts­ruck enden würde, wenn man der Däni­schen Volks­par­tei Zuge­ständ­nisse macht. Nachdem die Asyl- und Ein­wan­de­rungs­po­li­tik der Däni­schen Volks­par­tei zum Main­stream wurde, sehen die beiden rechts­ra­di­ka­len Par­teien nun ihre Chance. Nye Bor­ger­lige fordert einen noch här­te­ren Kurs gegen­über Asyl­be­wer­bern und Ein­wan­de­rer mit nicht-west­li­chem Hin­ter­grund. 2019 wurde die Partei mit 2,4 Prozent der Stimmen zum ersten Mal in das Par­la­ment gewählt. Stram Kurs ver­birgt nicht, dass sie eine eth­ni­sche Säu­be­rung zulas­ten von tau­sen­den Dänen mit aus­län­di­schen Wurzeln anstrebt. Mit 1,8 Prozent der Stimmen gelang es ihr jedoch zunächst nicht, ein Mandat zu erlan­gen. Bisher distan­zie­ren sich die anderen Par­teien stark vom Stram Kurs. Dies war jedoch auch gegen­über der Däni­schen Volks­par­tei der Fall, als die Partei Ende der neun­zi­ger Jahre ent­stand. Nye Bor­ger­lige und Stram Kurs stellen eine ernst­hafte Bedro­hung für die freie und offene Gesell­schaft dar.

Die Erfah­run­gen aus Däne­mark dienen daher auch als Warnung für Deutsch­land. Alle demo­kra­ti­schen Par­teien, die darüber nach­den­ken, mit der AfD zusam­men­zu­ar­bei­ten, Kom­pro­misse ein­zu­ge­hen oder ihre Migra­ti­ons­po­li­tik gar voll­stän­dig zu über­neh­men, sollten sich vor Augen führen, dass die rechts­po­pu­lis­ti­schen For­de­run­gen nach Ver­schär­fun­gen gegen­über Flücht­lin­gen und Migran­ten im Prinzip endlos sind. Vom frühen Erfolg der Däni­schen Volks­par­tei über die Hetze Inger Stø­j­bergs gegen Asyl­be­wer­ber und Ein­wan­de­rer bis hin zu Stram Kurs, deren Pläne zur eth­ni­schen Säu­be­rung als schein­bar völlig legi­ti­mes Thema in den Wahl­kampf 2019 Einzug erhal­ten haben, radi­ka­li­siert sich die poli­ti­sche Ent­wick­lung in Däne­mark ständig. [8]

Wenn die Bun­des­re­pu­blik nicht das­selbe Schick­sal ereilen soll, sollten die demo­kra­ti­schen Par­teien Abstand nehmen vom „däni­schen Weg“. Frus­tra­tion und Ver­un­si­che­rung über die Zukunft bieten einen idealen Nähr­bo­den für die aus­län­der­feind­li­che Rhe­to­rik der Rechts­po­pu­lis­ten dar. Eine ernst­hafte Aus­ein­an­der­set­zung mit den Folgen der eigenen Politik könnte den frem­den­feind­li­chen Kräften ihre Unter­stüt­zung teil­weise entziehen.

 

 

 

 

Fuß­no­ten

 

[1] https://jyllands-posten.dk/politik/ECE11466611/mette-frederiksen-jeg-holder-fast-i-paradigmeskiftet-med-aftale/; https://www.dr.dk/nyheder/politik/paradigmeskiftet-vedtaget-i-folketinget-her-er-stramningerne-paa-udlaendingeomraadet

[2] www.nytimes.com/2016/01/27/world/europe/denmark-asks-refugees-for-valuables.html

[3] www.fr.de/politik/wenn-torte-politisch-wird-11043513.html

[4] www.welt.de/politik/ausland/article184783298/Daenemark-verschaerft-Regeln-fuer-abgelehnte-Asylbewerber.html

[5] https://www.kristeligt-dagblad.dk/kristeligt-dagblad/50-asylansoegere-forsoegte-selvmord-sidste-aar; https://www.eftertrykket.dk/2019/06/16/fanget-i-udlaendingecenter-ellebaek-en-hverdag-praeget-af-frygt-og-magtesloeshed/; https://nyheder.tv2.dk/2019–03-10-afviste-sidder-indespaerret-i-ellebaek-i-op-til-halvandet-aar-det-her-havde-jeg-aldrig

[6] https://www.dr.dk/nyheder/politik/fagforening-s-gaar-langt-over-stregen-med-udlaendingestramninger-i-jagten-paa

[7] https://www.dr.dk/nyheder/politik/s‑medlemmer-forlader-partiet-efter-asylstramninger; https://www.tv2fyn.dk/svendborg/tidligere-s-borgmester-bramsen-og-jorgensen-er-ikke-ordentlige

[8] www.eftertrykket.dk/2019/05/22/den-der-starter-med-stoejberg-ender-med-paludan; www.bt.dk/politik/historiker-kan-se-paralleller-mellem-nazisme-og-stram-kurs

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