Alain de Benoist

Nou­velle Droite – Anti­ka­pi­ta­lis­mus von rechts

von Ellen Daniel

Der Fran­zose Alain de Benoist (*1943) gilt als füh­ren­der Kopf der „Nou­velle Droite“. Öffent­lich bekannt wurde der Pariser Publi­zist mit der Grün­dung des ultra­rech­ten Think Tank GRECE im Jahr 1968. Benoist ver­steht sich als Theo­re­ti­ker einer Neuen Rechten, die anti-ega­li­tär, anti-liberal, anti-kapi­ta­lis­tisch und anti-west­lich ori­en­tiert ist.
Das jüdisch-christ­li­che Erbe Europas mit seinem indi­vi­dua­lis­ti­schen Men­schen­bild wird abge­lehnt. An dessen Stelle soll ein neu-heid­ni­sches Bewusst­sein treten, das an die Göt­ter­welt der Antike anknüpft. Benoist plä­diert für eine neue „Kultur des Maß­hal­tens“ und für einen „Abschied vom Wachs­tum“. Er kann als Ver­tre­ter eines rechts-eso­te­ri­schen Öko-Sozia­lis­mus betrach­tet werden.
Europa soll sich als eine neue, von den USA los­ge­löste Macht eta­blie­ren, die sich eth­nisch defi­niert und Ein­wan­de­rer nicht-euro­päi­schen Ursprungs aus ihren Reihen aus­schließt. Diese neue Ordnung soll völ­kisch, aber staa­ten­über­grei­fend sein. Die „Nou­velle Droite“ redet also keinem neuen Natio­na­lis­mus das Wort, sondern fordert dessen Über­win­dung mit dem Ziel einer gro­ß­eu­ro­päi­schen Lösung.
Benoist ist Ver­fech­ter einer von ihm als „Eth­no­plu­ra­lis­mus“ bezeich­ne­ten Tren­nung von Rassen und Kul­tu­ren. Danach findet der Mensch nur auf dem ihm ange­stamm­ten Ter­ri­to­rium und in Ein­klang mit der ihm ein­ge­schrie­be­nen Kultur zu einem sinn­erfüll­ten Leben. „Misch­ehen“ führen zum Ver­schwin­den der Rassen und kul­tu­rel­len Unter­schiede und werden deshalb abgelehnt.
Die Exis­tenz eines Indi­vi­du­ums „an und für sich“ wird bezwei­felt, weil der Mensch seine Iden­ti­tät stets aus seiner Ethnie und Kultur bezieht. Iden­ti­tät wird beses­sen, nicht erwor­ben. Sie ist schick­sal­haft vor­ge­ge­ben und sollte Richt­schnur für die gesell­schaft­li­che und poli­ti­sche Ordnung sein. Auf diesen Ansatz haben in jüngs­ter Zeit u.a. die „iden­ti­tä­ren Bewe­gun­gen“ zugegriffen.
Alain de Benoist war in Deutsch­land lange Zeit unbe­kannt. Mit dem Erstar­ken einer deut­schen Neuen Rechten und dem Versuch einer Intel­lek­tua­li­sie­rung rechts­ra­di­ka­len Denkens auch hier­zu­lande gewinnt er an Bedeu­tung. Einige seiner Bücher sind auf Deutsch erschie­nen. Er ist stän­di­ger Mit­ar­bei­ter der Wochen­zei­tung „Junge Freiheit“.

1. Bio­gra­fi­sches

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Alain de Benoist wurde 1943 in der Nähe von Tours geboren und wuchs in Paris auf, wo er bis heute lebt. Sein Vater stammte aus ver­arm­tem Adel und ver­diente sein Geld in der Parfum-Indus­trie. Die Vor­fah­ren seiner Mutter waren Bauern und Eisen­bah­ner, „ein­fa­che Leute“, wie er betont. Auf diesen gemisch­ten fami­liä­ren Hin­ter­grund legt Benoist Wert, denn es sind die ver­meint­li­chen edlen Werte des Adels und jene des ein­fa­chen Volkes, die er glo­ri­fi­ziert und die er im Zentrum einer neuen Ordnung sehen möchte. Seine ganze Ver­ach­tung gilt dem Bür­ger­tum. Er ist stolz darauf, dass sich unter seinen Vor­fah­ren angeb­lich kein ein­zi­ger Ver­tre­ter dieser Gesell­schafts­schicht findet. In seinen Texten ver­ei­nen sich die Ränder des poli­ti­schen Spek­trums. Er ist ein bemer­kens­wer­ter Vor­den­ker von Quer­front-Phä­no­me­nen, wie man sie gegen­wär­tig immer häu­fi­ger beobachtet.

Alain de Benoists Welt­bild ist ein Amalgam.
Er ver­ab­scheut die „Herr­schaft des Geldes“, aber auch die Idee uni­ver­sell gül­ti­ger Menschenrechte.

Mit Grün­dung des Think Tanks GRECE (Grou­pe­ment de recher­che et d‘études de la civi­li­sa­tion euro­pénne – frei über­setzt For­schungs- und Stu­di­en­gruppe zur euro­päi­schen Zivi­li­sa­tion) im Jahr 1968 gilt Alain de Benoist als füh­ren­der Theo­re­ti­ker der „Nou­velle Droite“, einer neuen fran­zö­si­schen Rechten. Dieses Etikett hatte sich die Gruppe frei­lich nicht selbst aus­ge­sucht, und Benoist war damit nie voll­kom­men ein­ver­stan­den. Um zu ver­deut­li­chen, dass seine Welt­an­schau­ung in Wirk­lich­keit „weder rechts noch links“ sei, hat er unzäh­lige Texte geschrie­ben. Dabei trifft durch­aus zu, was viele seiner Kri­ti­ker nicht erken­nen können oder wollen: Alain de Benoists Welt­bild ist ein Amalgam. Der Pariser Intel­lek­tu­elle ver­ab­scheut die „Herr­schaft des Geldes“, aber auch die Idee uni­ver­sell gül­ti­ger Men­schen­rechte. Er kri­ti­siert die Glo­ba­li­sie­rung als Gegner des Kapi­tals, aber auch deshalb, weil sie zu einer „Ver­mi­schung der Rassen und Kul­tu­ren“ führt.

In seinen als Inter­view-Buch erschie­nen Memoi­ren „Mein Leben. Wege eines Denkens.“ gesteht er, dass seine Sym­pa­thien während der Pariser Stu­den­ten­un­ru­hen durch­aus auch den Kom­mu­nis­ten, den Mao­is­ten und den Trotz­kis­ten gegol­ten hätten. Schließ­lich seien diese Gruppen wie er als Gegner General de Gaulles auf die Straße gegan­gen. Den Geruch von Trä­nen­gas und die Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit der Polizei habe er geliebt. Bei der „Nou­velle Droite“ und der Grün­dung von GRECE han­delte es sich also kei­nes­wegs um eine kon­ser­va­tive Gegen­re­ak­tion auf die Stu­den­ten­re­volte, wie öfter zu lesen ist. Schon eher war es das rechts­extreme Angebot in einem gesell­schaft­li­chen Klima, in dem das „System“ von jungen Men­schen infrage gestellt wurde. Die poli­ti­sche Stoß­rich­tung der „Nou­velle Droite“ hatte sich deut­lich vor 1968 her­aus­ge­bil­det und war eng mit dem Alge­rien-Krieg verknüpft.

Befragt, was ihn an der tra­di­tio­nel­len Rechten am meisten störe, nennt er deren stu­pi­des Lager­den­ken und ihre geis­tige Trägheit.

In dieser blu­ti­gen und für Frank­reich trau­ma­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung um das kolo­niale Erbe wächst der Schüler Benoist zu einem poli­ti­schen Akti­vis­ten heran. In diesen Jahren bildet sich seine geis­tige und poli­ti­sche Matrix. Heute bedau­ert er, dass er mit seiner Par­tei­nahme für ein „fran­zö­si­sches Alge­rien“ allzu plump ras­sis­tisch und kolo­nia­lis­tisch argu­men­tiert habe. Auch den Terror natio­na­lis­ti­scher Unter­grund­grup­pen habe er damals zwar gut­ge­hei­ßen, ihn aber in erster Linie als Zünd­stoff gegen die ihm ver­hasste Repu­blik betrach­tet. Unter dem Pseud­onym Fabrice Laroche gründet er 1960 die neo­fa­schis­ti­sche Stu­den­ten-Orga­ni­sa­tion FEN, die sich aus­gie­bige Stra­ßen­schlach­ten mit der Polizei liefert.

Ein paar Jahre später, als die 68er den Marsch durch die Insti­tu­tio­nen antre­ten, zieht sich Alain de Benoist aufs Schrei­ben zurück. Er hei­ra­tet eine Deut­sche und wird Vater. Er stu­diert Recht, Phi­lo­so­phie und Reli­gi­ons­wis­sen­schaf­ten und ent­wi­ckelt sich zu dem, was man in Frank­reich respekt­voll einen „homme de lettres“ nennt. Er ver­öf­fent­licht Dut­zende Bücher, orga­ni­siert Kon­gresse, wird Her­aus­ge­ber der Zeit­schrif­ten „Nou­velle Ecole“ und „Krisis“ und stän­di­ger Mit­ar­bei­ter bei „Elé­ments“. Er publi­ziert nicht nur in den haus­ei­ge­nen Blät­tern der „Nou­velle Droite“, sondern ist auch als Gast­au­tor in der bür­ger­lich-kon­ser­va­ti­ven Presse gefragt. Sein geis­tes­wis­sen­schaft­li­ches Wissen gilt als enzy­klo­pä­disch. Befragt, was ihn an der tra­di­tio­nel­len Rechten am meisten störe, nennt er deren stu­pi­des Lager­den­ken und ihre geis­tige Träg­heit. Schon deshalb habe es die „alte Rechte“ ver­dient, unterzugehen.

2. Welt­bild

Benoist ist ein eitler Autor und Gesprächs­part­ner. Es ist ihm wichtig, sein Denken nicht als irgend­eine Meinung zu Markte zu tragen und ver­stan­den zu wissen. Er ist will die Zwangs­läu­fig­keit bewei­sen, mit der ein intel­li­gen­ter Zeit­ge­nosse zu seinen Schluss­fol­ge­run­gen gelan­gen muss. Vor allem aber möchte er der radi­ka­len Rechten Geist ein­hau­chen, ihr das intel­lek­tu­elle Marsch­ge­päck ver­pas­sen, das ihr in seinen Augen bis heute fehlt. Zu poli­ti­schen Par­teien hält er in der Öffent­lich­keit sorgsam Distanz. Das gilt auch für den rechts­po­pu­lis­ti­schen Ras­sem­blem­ent Natio­nal (ehemals Front Natio­nal), von dem er sagt, er habe ihn nie gewählt. Mit pöbeln­den Neo­na­zis möchte Benoist schon gar nicht in Ver­bin­dung gebracht werden. Auf einen Artikel des Autoren­blogs „Salon­ko­lum­nis­ten“, in dem er als „Mas­ter­mind der Völ­ki­schen“ bezeich­net wurde, reagierte er prompt und hass­erfüllt. (1) Dazu muss man wissen, dass es zu „völ­kisch“ im Fran­zö­si­schen keine Ent­spre­chung gibt und Benoist diesen Begriff mit einem sek­tie­re­ri­schen Milieu verbindet.

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Kritik an den uni­ver­sa­len Menschenrechten

Sein kunst­voll kom­po­nier­tes, hybri­des Welt­bild vereint zahl­rei­che rechte und linke Klas­si­ker des poli­ti­schen Denkens. Er lobt Karl Marx für dessen klar­sich­tige Analyse der kapi­ta­lis­ti­schen Markt­ge­sell­schaft und für den Topos der Ent­frem­dung, der auch im Zentrum seiner eigenen Kapi­ta­lis­mus-Kritik steht. Gleich­zei­tig teilt er die völ­ki­schen Denk­fi­gu­ren eines Oswald Speng­ler: Der Mensch „an und für sich“ exis­tiert nicht. Es gibt ihn nur als Inkar­na­tion einer Kultur, einer Ethnie, eines Volkes, einer Nation. Die „Ideo­lo­gie der Men­schen­rechte“ ist fal­sches Bewusst­sein. Ein uni­ver­sa­les Recht des Indi­vi­du­ums auf Schutz und Ent­fal­tung seiner Indi­vi­dua­li­tät wider­spricht der mensch­li­chen Natur.

Im Sinne des von ihm ver­ehr­ten natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staats­recht­lers Carl Schmitt beschreibt Benoist den „Haupt­feind“ seiner Welt­an­schau­ung fol­gen­der­ma­ßen: „Der Kapi­ta­lis­mus und die Kon­sum­ge­sell­schaft auf öko­no­mi­scher Ebene, der Libe­ra­lis­mus auf poli­ti­scher Ebene, der Indi­vi­dua­lis­mus auf phi­lo­so­phi­scher Ebene, die Bour­geoi­sie auf gesell­schaft­li­cher Ebene und die USA auf geo­po­li­ti­scher Ebene.“ (2)

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Homo­ge­nes Staatsvolk

Wie soll die neue Ordnung aus­se­hen, die die libe­rale Demo­kra­tie ablöst? Zunächst soll sie auf eine Weise ver­fasst sein, wie es Carl Schmitt und andere Autoren der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tion in Deutsch­land vor­ge­zeich­net haben: Das Staats­volk muss sich von fremden Ein­flüs­sen rei­ni­gen und wieder homogen werden. Nur dann kann es sich als Demos selbst regie­ren und ist nicht mehr auf ver­fäl­schende Kon­strukte wie poli­ti­sche Par­teien und Par­la­mente ange­wie­sen. Der „Volks­wille“ kann durch Wahlen, aber auch auf andere Weise ermit­telt werden. Auch eine neue, volks­ver­bun­dene Elite oder eine ein­zelne Füh­rer­ge­stalt könnte sich an die Spitze dieses Staates setzen und dem Willen des Volkes Geltung ver­lei­hen. Diese Demo­kra­tie ist erbar­mungs­los: Sie kennt weder einen Schutz von Min­der­hei­ten, noch billigt sie Abwehr­rechte des Ein­zel­nen gegen­über der Staatsgewalt.

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Anti-Ega­li­ta­ris­mus und die Chimäre einer indo­ger­ma­ni­schen Ur-Kultur

Die neue Gesell­schaft soll sich von den jüdisch-christ­li­chen Ein­flüs­sen los­sa­gen, die den Westen prägen, und sich statt­des­sen auf das „heid­ni­sche Erbe“ der euro­päi­schen Antike zurück­be­sin­nen. Nicht ein Gott, sondern viele Götter sollen das mensch­li­che Bedürf­nis nach Tran­szen­denz und seine Hoff­nung auf Unsterb­lich­keit bedie­nen. Die Kritik an Juden- und Chris­ten­tum zielt auf ihr indi­vi­dua­lis­ti­sches Men­schen­bild, aber auch auf das, was Benoist als einen patho­lo­gi­schen Kult um Sünde, Schuld und Leid geißelt. Er selbst hat sich vom glü­hen­den Athe­is­ten zum Agnos­ti­ker ent­wi­ckelt, der vom Über­dau­ern „heid­ni­scher“ Muster und Bräuche über­zeugt ist und in den eso­te­ri­schen Moden der Gegen­wart einen Beweis dafür sieht.

.Außer­dem gilt es, die „Fort­schritts­ideo­lo­gie“ des Westens zu über­win­den. In diesem Punkt hat eine erstaun­li­che Ent­wick­lung statt­ge­fun­den, in der sich Benoist vom faus­ti­schen Bezwin­ger zum Wachs­tums-Kri­ti­ker gewan­delt hat. Jetzt soll die Natur aus einer bloßen Zweck-Mittel-Bezie­hung her­aus­ge­ris­sen, ihre „Eigen­würde“ soll wie­der­her­ge­stellt werden. In seiner Rolle als öko­lo­gi­scher Zer­stö­rer und bloßer Kon­sum­au­to­mat ver­fehle der Mensch seine anthro­po­lo­gi­sche Bestim­mung. Vor allem in seinen in jüngs­ter Zeit erschie­nen Büchern fordert Benoist eine „Kultur des Maß­hal­tens“ und eine „gezielte Wachs­tums­rück­nahme“. Zwei­tau­send Jahre „Ent­göt­te­rung“ und Inbe­sitz­nahme der Materie hätten zu den Umwelt­de­sas­tern geführt, mit der die Gegen­wart kon­fron­tiert sei. Die bibli­sche Auf­for­de­rung, sich die Erde Unter­tan zu machen, ist der Start­schuss für die öko­lo­gi­sche Katastrophe.

Zwi­schen dem öko­lo­gis­ti­schen Denken und der Phi­lo­so­phie Heid­eg­gers sehe ich eben­falls große Affi­ni­tä­ten. Der ‚Einsatz für das Sein‘ impli­ziert die Ableh­nung des Gestells, der tech­nisch-wis­sen­schaft­li­chen Ratio­na­li­sie­rung der Welt. Seit die Ver­füg­bar­ma­chung der Welt die pro­gres­sive Zer­stö­rung all ihrer Grund­la­gen (…) erfor­der­lich macht, ent­wi­ckelt sich diese Welt immer mehr zur reinen ‚Machen­schaft‘.“ (3)

Dabei ver­gisst Benoist nicht zu betonen, dass es allen voran die USA mit ihrem Tur­bo­ka­pi­ta­lis­mus und ihrem infan­ti­len Kon­sum­ver­hal­ten seien, die die Welt in diese Sack­gasse geführt hätten. So ist es nur fol­ge­rich­tig, dass er die Abkehr Europas vom Westen im Sinne einer west­lich ori­en­tier­ten Wer­te­ge­mein­schaft fordert. Dabei beschwört er eine ominös vor­ge­schicht­li­che, indo-euro­päi­sche Ver­gan­gen­heit herauf, in der einst weder das Streben nach indi­vi­du­el­lem Besitz, noch die Vor­stel­lung vom Men­schen als Ein­zel­we­sen geherrscht habe. Diesen sehr spe­ku­la­ti­ven Teil seines Welt­bil­des stützt Benoist auf den fran­zö­si­schen Reli­gi­ons­wis­sen­schaft­ler Georges Dumézil, der zu einer „Ideo­lo­gie der Indo-Euro­päer“ geforscht hatte und sich dazu lin­gu­is­ti­scher Metho­den bediente.

Bei der Rekon­struk­tion einer ver­meint­lich indo-euro­päi­schen Kultur mittels „lin­gu­is­ti­scher Palä­on­to­lo­gie“ ist Georges Dumézil weiter gegan­gen als seine Fach­kol­le­gen und wurde dafür scharf kri­ti­siert. Seine Theorie ent­wi­ckelte er unter anderem durch die Aus­wer­tung der „poe­ti­schen Phra­seo­lo­gie“ alter Mythen­samm­lun­gen wie der Edda, der ira­ni­schen (sic!) Avesta und antiker grie­chi­scher und römi­scher Sagen. Dabei nahm er an, dass ins­be­son­dere Mythen einen „volks­spe­zi­fi­schen“ Geist trans­por­tie­ren und die sonst im Unbe­wuss­ten der Kul­tur­trä­ger ver­bor­gene „Ideo­lo­gie“ einer wis­sen­schaft­li­chen Analyse zugäng­lich machen.

Die Mytho­lo­gie ver­kör­pert, betrach­tet man sie in ihrer Gesamt­heit, in all ihren Schich­ten und Struk­tu­ren, die Tota­li­tät aller sozia­len Fakten eines Volkes.“ (4)

Es würde zu weit führen, die Instru­men­ta­li­sie­rung dieses sehr spe­zi­el­len Feldes lin­gu­is­ti­scher For­schung durch die „Nou­velle Droite“ hier detail­liert nach­zu­zeich­nen. Ent­schei­dend ist, dass sie zwei­er­lei Funk­tio­nen erfüllt: Zum einen dient sie Benoist dazu, eine in grauer Vorzeit exis­tie­rende Ur-Gesell­schaft zu pos­tu­lie­ren: Adel, Krieger und Bauern wussten sich jeder an seinem Platze. Es herrsch­ten die „hohen Werte“ des Adels wie Stolz, Ehre und Mut, aber auch die am Zyklus der Natur ori­en­tier­ten und „näh­ren­den“ Wert­vor­stel­lun­gen der Bauern. Diese Gemein­schaft lebte in Har­mo­nie, weil sie sich in „voll­kom­me­ner Über­ein­stim­mung mit ihrer kul­tu­rel­len Matrix“ befand. Die Vor­stel­lung von einer urzeit­lich-har­mo­ni­schen Stan­des­ge­sell­schaft, in der Besitz und Macht stets nur nach­ran­gige Werte waren, mutet naiv an und gehört zu den schwächs­ten Punkten in Benoists Theoriegebäude.

Zum anderen dient ihm die lin­gu­is­ti­sche For­schung dazu, die Exis­tenz eines euro­päi­schen Urvolks zu behaup­ten, zu dessen Wurzeln Europa zurück­keh­ren kann und soll. Zwar haben Wis­sen­schaft­ler wie Dumézil stets betont, dass die indo-euro­päi­sche Sprache ein Kon­strukt ist und es ein indo-euro­päi­sches Urvolk niemals gegeben hat. Diese Ein­wände hält der Kopf der Nou­velle Droite indes für nicht maß­geb­lich. Die Vor­stel­lung von einem solchen euro­päi­schen Urvolk ist viel­mehr die Basis eines neuen kol­lek­ti­ven Bewusst­seins, zu dem er mit seinem publi­zis­ti­schen Schaf­fen bei­tra­gen will.

3. Rezep­tion in der aktu­el­len Debatte

Die neue Ordnung soll also einer­seits völ­kisch, ande­rer­seits euro­pä­isch sein. Die „Nou­velle Droite“ redet keinem fran­zö­si­schen oder deut­schen Natio­na­lis­mus das Wort, sondern fordert im Gegen­teil dessen Über­win­dung mit dem Ziel einer gro­ß­eu­ro­päi­schen Lösung. Die Gemet­zel auf den Schlacht­fel­dern des Ersten Welt­kriegs bezeich­net Benoist als „Bru­der­krieg“. Man mag ein­wen­den, dass eine solche „Inter­na­tio­nale“ völ­kisch gestimm­ter Men­schen ein Wider­spruch in sich ist und jeder Erfah­rung wider­spricht. Benoist selbst hat ein­ge­räumt, dass man auf diesem Weg noch nicht weit gekom­men sei, hält aber an seiner Vision fest. Dabei ver­steht er sich als Vor­den­ker einer „Meta­po­li­tik“, die das das kul­tu­relle und geis­tige Klima einer Gesell­schaft lang­fris­tig ver­än­dert und auf diese Weise die Basis für große poli­ti­sche Para­dig­men­wech­sel und Revo­lu­tio­nen schafft.

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Eth­no­plu­ra­lis­mus vs mul­ti­kul­tu­relle Gesellschaft

Es ist darüber gestrit­ten worden, ob der von der „Nou­velle Droite“ ver­tre­tene „Eth­no­plu­ra­lis­mus“ genuin ras­sis­tisch oder „nur“ aus­gren­zend sei. Schon in den 70er Jahren ist Benoist davon abge­rückt, die Über­le­gen­heit einer bestimm­ten Rasse oder Ethnie zu behaup­ten. Statt­des­sen pos­tu­liert er die Über­le­gen­heit „jeder Rasse und jeder Ethnie“, solange sie auf dem ihr ange­stamm­ten Ter­ri­to­rium bleibt und die ihr eigene Kultur lebt. „Misch­ehen“ führen zum Ver­schwin­den der Rassen und kul­tu­rel­len Unter­schiede und werden deshalb abge­lehnt. Zu den vor­dring­li­chen poli­ti­schen Auf­ga­ben der Gegen­wart zählt die „Nou­velle Droite“ deshalb das Ende der außer-euro­päi­schen Ein­wan­de­rung und die Rück­kehr nicht-euro­päi­scher Immi­gran­ten in ihre Her­kunfts­län­der. Dabei bleibt offen, wie dies prak­tisch gesche­hen soll und wo genau die geo­gra­phi­schen Grenzen dieses Nicht-Europas liegen.

Fern­ziel der Politik des „Eth­no­plu­ra­lis­mus“ ist die globale ter­ri­to­riale Tren­nung von Gemein­schaf­ten, die sich als eine Ethnie ver­ste­hen und ein gemein­sa­mes kul­tu­rel­les Erbe pflegen. Wie diese seg­re­gierte Welt auf öko­no­mi­scher Ebene exis­tie­ren soll, wird nicht prä­zi­siert. Es wird davon aus­ge­gan­gen, dass ange­bo­re­nes Ter­ri­to­ri­al­ver­hal­ten Men­schen in einen immensen kul­tu­rel­len Stress ver­setzt, je mehr die Ver­städ­te­rung vor­an­schrei­tet. Ghetto-Bildung ist die unwei­ger­li­che Folge, wobei riva­li­sie­rende Gruppen niemals auf­hö­ren, ihr Ter­ri­to­rium ver­grö­ßern und ver­tei­di­gen zu wollen. Auch deshalb ist das Konzept des Eth­no­plu­ra­lis­mus in den Augen Benoists nicht nur nicht ras­sis­tisch, sondern im Gegen­teil zutiefst human.

Gemäß dem Denken der „Nou­velle Droite“ wird Iden­ti­tät beses­sen, nicht erwor­ben. Sie ist schick­sal­haft vorgegeben.

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In diesem Punkt kommt erneut die Vor­stel­lungs­welt des deut­schen Schrift­stel­lers Oswald Speng­ler zum Vor­schein, der davon ausging, dass sich ein­an­der fremde Kul­tu­ren niemals wirk­lich ver­ste­hen und in einem tie­fe­ren Sinn aus­tau­schen können. Benoist dagegen bestrei­tet nicht, dass sich die Kul­tu­ren der Welt von einem frühen Zeit­punkt an ver­mischt und auch gegen­sei­tig berei­chert haben. Dennoch gibt er einer klaren Tren­nung den Vorzug. Denn eth­nisch seg­re­gierte Gesell­schaf­ten erspa­ren sich nicht nur kul­tu­rel­len Stress. Sie haben auch den Vorteil, dass sich niemand einem herr­schen­den, ihm einem fremden Kul­tur­mo­dell unter­wer­fen muss.

Das Konzept der plu­ra­lis­ti­schen oder mul­ti­kul­tu­rel­len Gesell­schaft will Benoist als Chimäre ent­lar­ven. Denn zum einen seien die west­li­chen Gesell­schaf­ten kei­nes­wegs mul­ti­kul­tu­rell im Sinne einer kul­tu­rel­len Viel­falt, sondern ver­dräng­ten diese im Gegen­teil zuse­hends. Das Pro­pa­gie­ren uni­ver­sal gül­ti­ger Men­schen­rechte diene dem Westen nur als Vorwand für Expan­sion. Die eigent­li­chen Ziele seien wirt­schaft­li­che Aus­beu­tung, die Siche­rung von Roh­stoff­quel­len und der Einsatz von „Wall­street-Kapital“ in viel­ver­spre­chende Unter­neh­mun­gen weltweit.

Man würde der umfas­sen­den Radi­ka­li­tät dieses Denkens nicht gerecht, wenn man es „nur“ als zutiefst anti­se­mi­tisch bezeich­nete. Natür­lich steht hinter der Kritik am mer­kan­ti­len Geist des Westens mit seinen jüdisch-christ­li­chen Wurzeln auch die Vor­stel­lung vom welt­weit herr­schen­den „jüdi­schen Kapital“. Die „Nou­velle Droite“ ist aber auch anti-kle­ri­kal und auf geis­tige Eleganz bedacht. Plumpe anti­se­mi­ti­sche Vor­ur­teile wird man in ihren Schrif­ten ebenso wenig finden, wie eine offene Ver­tei­di­gung des Nationalsozialismus.

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Der Vor­den­ker der Identitären

Weil jeder Mensch vor allem als Erbe seiner Kultur geboren wird, ist die Frage nach Iden­ti­tät im Konzept der „Nou­velle Droite“ keine indi­vi­du­elle Ange­le­gen­heit, sondern eine zutiefst poli­ti­sche. Es liegt auf der Hand, wie attrak­tiv die Schrif­ten Benoists für die iden­ti­täre Bewe­gung sein müssen, die seit einigen Jahren Teil einer neuen Jugend­kul­tur ist. Die puber­täre Suche nach Sinn und einem unver­wech­sel­ba­ren Ich kann danach auf wun­der­same Weise abge­kürzt und mit einem klaren Bekennt­nis beendet werden. Iden­ti­tät wird beses­sen, nicht erwor­ben. Sie ist schick­sal­haft vor­ge­ge­ben und steht jedem zur Ver­fü­gung, der ihre wahre Natur erkennt.

So über­rascht es nicht, dass Benoist nach einem langen Schat­ten­da­sein als „Geheim­tipp“ zuneh­mend in den Fokus rechts­extre­mer Kreise auch in Deutsch­land rückt. Seit einigen Jahren ist er stän­di­ger Mit­ar­bei­ter der Wochen­zei­tung „Junge Frei­heit“. Der Publi­zist und Ver­tre­ter der deut­schen Neuen Rechten, Karl­heinz Weiß­mann, ver­öf­fent­lichte im „Junge Frei­heit Verlag“ ein Inter­view­buch, das Benoists Wer­de­gang aus­führ­lich aus dessen Sicht beschreibt. (3) Der von Götz­Ku­bit­schek gelei­tete Antaios-Verlag brachte unter anderem seine inter­na­tio­nale Carl-Schmitt-Biblio­gra­phie sowie ein klei­ne­res Werk über seine Person und die Grund­züge seines Denkens heraus.

Eine Reihe von aktu­el­le­ren Büchern von Benoist ist im „Junge Frei­heit Verlag“ in deut­scher Über­set­zung erschie­nen, dar­un­ter „Am Rande des Abgrunds – Eine Kritik der Herr­schaft des Geldes“ (2012) und „Abschied vom Wachs­tum – Für eine Kultur des Maß­hal­tens“ (2009). Wenn der AfD-Poli­ti­ker Björn Höcke berich­tet, dass er sich bei Kamin­ge­sprä­chen mit dem Publi­zis­ten Kubit­schek die geis­tige Nahrung für sein Wirken hole, dürfte mit einiger Wahr­schein­lich­keit auch über Alain de Benoist gespro­chen werden.

Deut­lich später als in Frank­reich hat man in Deutsch­land mit dem Projekt einer „zeit­ge­mä­ßen“ Theo­rie­bil­dung für rechts­ra­di­kale Posi­tio­nen begon­nen. Der Rück­griff auf die deut­schen Klas­si­ker der „Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tion“ ist eine nahe­lie­gende und frucht­bare Basis für beide Seiten. Alain de Benoist ist nicht nur in der Lage, die Texte eines Carl Schmitt, Oswald Speng­ler oder Ernst Jünger im Ori­gi­nal zu lesen. Er reist auch gerne nach Deutsch­land und wird zu Treffen im Dunst­kreis von Karl­heinz Weiß­mann und Götz Kubit­schek geladen.
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Benoist liefert den Stoff für ein beson­ders besorg­tes Bür­ger­tum, das nach Argu­men­ten für sein Unbe­ha­gen an der libe­ra­len Demo­kra­tie sucht.

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Trotz­dem ist Benoist noch nicht zum Idol auch der deut­schen Neuen Rechten avan­ciert. Das mag damit zusam­men­hän­gen, dass sein Traum von der Wie­der­auf­er­ste­hung eines heid­nisch-euro­päi­schen Demos auch von poli­tisch Nahe­ste­hen­den als ver­schro­ben und kon­stru­iert abgetan wird. Zudem handelt es sich bei den meisten seiner Bücher um eine recht sper­rige Lektüre. Rechts­ra­di­kale Stra­ßen­kämp­fer wird man damit nicht begeis­tern können. Schon eher liefert er Stoff für ein beson­ders besorg­tes Bür­ger­tum, das nach Argu­men­ten für sein Unbe­ha­gen an der libe­ra­len Demo­kra­tie sucht.

Alain de Benoist bezeich­net sich als „ger­ma­no­phil“. Ob das von ihm adres­sierte deut­sche Publi­kum im Gegen­zug bereit ist, einem fran­zö­si­schen Vor­den­ker zu folgen, sei dahin­ge­stellt. Grenz­über­schrei­tende Ethnien, die weder eine gemein­same Sprache, noch gemein­same All­tags­ri­ten und Bräuche teilen, wären ein Novum in der Geschichte der Völker. Eine am rechten Rand ver­or­tete Mas­sen­be­we­gung, in der sich Deut­sche, Fran­zo­sen, Ita­lie­ner usw. als einemVolk zuge­hö­rig fühlen, exis­tiert bis jetzt nicht. Es bleibt abzu­war­ten, welche Rolle die euro­pa­weit geführte Debatte um mus­li­mi­sche Flücht­linge und Ein­wan­de­rer für die zukünf­tige Ent­wick­lung und den Erfolg der Neuen Rechten in Europa spielen wird.

Zum Schluss soll Benoist noch einmal selbst zu Wort kommen. In diesem Passus para­phra­siert er den ita­lie­ni­schen Schrift­stel­ler und Kom­mu­nis­ten Antonio Gramsci (1891–1937), dessen „Gefäng­nis­hefte“ zu den Klas­si­kern mar­xis­ti­scher Lite­ra­tur gehören. Es geht um die Frage, welche Rolle der vor­po­li­ti­sche Raum für gesell­schaft­li­che Para­dig­men­wech­sel und revo­lu­tio­näre Umbrü­che spielt:

Alle großen Revo­lu­tio­nen der Geschichte haben nichts anderes getan, als eine Ent­wick­lung in die Tat umzu­set­zen, die sich zuvor schon unter­schwel­lig in den Geis­tern voll­zo­gen hatte. Man kann keinen Lenin haben, bevor man einen Marx hatte. Das ist die Revan­che der Theo­re­ti­ker – die nur schein­bar die großen Ver­lie­rer der Geschichte sind. Eines der Dramen der Rechten ist ihre Unfä­hig­keit, die Not­wen­dig­keit zu begrei­fen, dass auf lange Frist geplant werden muss.“ (5)


  1. https://www.salonkolumnisten.com/salonkolumnisten-zu-doof-fuer-benoist/
  2. Alain de Benoist: „Am Rande des Abgrunds – Eine Kritik der Herr­schaft des Geldes“,
    Junge Frei­heit Verlag, Berlin 2012, S. 175.
  3. Alain de Benoist: ”Mein Leben – Wege eines Denkens“ mit einem Vorwort von Karl­heinz Weißmann,
    Junge Frei­heit Verlag, Berlin 2014.
  4. Georges Dumézil: „L’idéologie tri­par­tie des Indo-Euro­pé­ens“, Brüssel 1958, S. 68
  5. Alain de Benoist: „Kul­tur­re­vo­lu­tion von rechts: Gramsci und die Nou­velle Droite“, Jun­g­eu­ropa Verlag, Dresden 2017, S. 38.

Die Autorin:
Ellen Daniel ist Jour­na­lis­tin mit den The­men­schwer­punk­ten Europa und Kultur. Sie war u.a. EU-Kor­re­spon­den­tin in Brüssel und Redak­teu­rin beim „Focus“. Außer­dem hat sie als Pres­se­spre­che­rin der SPD-Abge­ord­ne­ten im euro­päi­schen Par­la­ment gear­bei­tet. Ellen Daniel hat sich im Rahmen ihres poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­ums inten­siv mit Alain de Benoist befasst und ihn per­sön­lich interviewt.


Ver­öf­fent­licht: 18.01.2019

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