Thü­rin­gen: Weckruf oder Zäsur?

Foto: Sandro Halank, Wiki­me­dia Commons

Geschichte wie­der­holt sich nicht. Aber was bei der Wahl des Minis­ter­prä­si­den­ten im Thü­rin­ger Landtag abging, hat tat­säch­lich einen „Hauch von Weimar.“

Dass der FDP-Abge­ord­nete Kem­me­rich im 3. Wahl­gang kan­di­dierte, war eine Ein­la­dung an die AfD, die sie mit Hand­kuss ange­nom­men hat. Und zumin­dest große Teile der CDU spiel­ten mit. Um Ramelow zu ver­hin­dern, erlaub­ten sie Höcke, den Königs­ma­cher zu spielen. Das ist unverzeihlich.

Kem­me­rich wird den Makel seiner Wahl nicht mehr los. Es grenzt an Rea­li­täts­ver­lust, wenn FDP und CDU in Thü­rin­gen jetzt an das „Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein“ von SPD, Grünen und Linken appel­lie­ren, eine Min­der­heits­re­gie­rung von Höckes Gnaden zu tole­rie­ren. Wenn der 5 Prozent-Minis­ter­prä­si­dent nicht mit den Rechts­extre­men regie­ren will, muss er zurück­tre­ten und den Weg für Neu­wah­len freimachen.

Auch auf Bun­des­ebene wird dieser Tag lange nach­wir­ken. Er legte die Kon­flikte in FDP und Union offen und brachte eine neue Schei­de­li­nie in der deut­schen Politik zum Vor­schein: Wie hältst Du’s mit der AfD?

Der stell­ver­trende FDP-Vor­sit­zende Wolf­gang Kubicki bezeich­nete die Wahl eines FDP-Minis­ter­prä­si­den­ten in Thü­rin­gen als „groß­ar­ti­gen Erfolg.“ Da hat er recht – frei­lich ein großer Erfolg für die AfD. Der Herr Minis­ter­prä­si­dent Kem­me­rich wird nur ein kurzes Zwi­schen­spiel sein – die Zweifel an der demo­kra­ti­schen Ver­läss­lich­keit der FDP aber werden bleiben. Wie kurz­sich­tig! Und wie halb­her­zig die Stel­lung­nahme von Chris­tian Lindner im Kon­trast zu den Posi­tio­nen, die FDP-Poli­ti­ker/in­nen wie Johan­nes Vogel und Par­tei­gran­den wie Sabine Leu­theus­ser-Schnar­ren­ber­ger bezogen haben! Gerhart Baum hat recht: Kem­me­rich hat mit dem Feuer gespielt, und nun brennt es lich­ter­loh unter dem Dach der FDP. Wenn sie den Brand nicht schnell aus­tritt, droht sie von ihm ver­schlun­gen zu werden.

Wer hätte gedacht, dass aus­ge­rech­net Markus Söder sagt, was gesagt werden muss: Die Wahl eines Minis­ter­prä­si­den­ten mit den Stimmen der AfD ist ein „inak­zep­ta­bler Damm­bruch“; der einzige Ausweg aus dem Thü­rin­ger Trau­er­spiel sind zügige Neuwahlen.

Auch die State­ments von Frau Kramp-Kar­ren­bauer und ihres Gene­ral­se­kre­tärs lassen an Klar­heit nichts zu wün­schen übrig. Ebenso deut­lich ist aber, dass die CDU Thü­rin­gen einen anderen Kurs fährt. Für sie ist die Abwahl einer Links­re­gie­rung wich­ti­ger als die Brand­mauer zur AfD. Wie tief geht dieser Riss durch die Union? Das Thü­rin­ger Debakel ist auch ein Test auf die poli­ti­sche Auto­ri­tät der CDU-Vorsitzenden.

Wir werden sehen, ob sich dieser 5. Februar 2020 als Weckruf erweist, der die demo­kra­ti­schen Abwehr­kräfte der Mitte stärkt oder ob damit eine weit rei­chende Ver­än­de­rung der poli­ti­schen Land­schaft der Bun­des­re­pu­blik ein­ge­lei­tet wird: Eine erneute Mar­gi­na­li­sie­rung der FDP, ein Aus­fran­sen der Union nach rechts und eine Stär­kung der AfD. Die Grünen würden damit nolens, volens zum neuen Sta­bi­li­täts­an­ker der Demo­kra­tie – eine Rolle, in die sie noch hin­ein­wach­sen müssen.

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