Wir erleben nicht nur eine Corona-Pan­de­mie, sondern auch eine Pan­de­mie des Hasses“

Rechts­extre­mis­mus-For­scher Mat­thias Quent. Foto: Sio Motion.

Der Sozio­loge Mat­thias Quent erklärt im Inter­view, wie Rechts­ra­di­kale auf die Corona-Krise reagie­ren und ob sie von ihr pro­fi­tie­ren können.

Herr Quent, die Corona-Pan­de­mie hat eine globale Krise ver­ur­sacht, die bei sehr vielen Men­schen Ver­un­si­che­rung, Angst und Wut her­vor­ruft. Das sind eigent­lich opti­male Vor­aus­set­zun­gen für die­je­ni­gen, die danach trach­ten, die libe­rale Demo­kra­tie zu desta­bi­li­sie­ren. Wittert das rechts­extreme Milieu bereits seine Chance?

Mat­thias Quent: Wir sehen ver­schie­dene, durch­aus unein­heit­li­che Reak­tio­nen inner­halb der radi­ka­len und popu­lis­ti­schen Rechten, mit dieser Kri­sen­si­tua­tion umzu­ge­hen. Gene­rell zeich­net sich ab, dass dieses Milieu ver­sucht, die Corona-Krise für ihr übli­ches Pro­gramm zu instru­men­ta­li­sie­ren: Natio­na­lis­mus, Popu­lis­mus, Ras­sis­mus. For­de­run­gen nach Grenz­schlie­ßung, gehäs­sige Ver­ächt­lich­ma­chung füh­ren­der Köpfe in Politik und Wis­sen­schaft, Stig­ma­ti­sie­rung von Sün­den­bö­cken. Dazu gehört in pau­scha­len Hass radi­ka­li­sierte Kritik gegen die Bun­des­re­gie­rung; der Versuch, die Maß­nah­men der Bun­des­re­gie­rung auf zwei Arten infrage zu stellen. Einer­seits werden sie als unzu­rei­chend und ama­teur­haft dar­ge­stellt. Die konträr dazu ste­hende Lesart ist, dass das alles ein Plan sei, um die Bevöl­ke­rung zu unter­drü­cken und die schon länger dia­gnos­ti­zierte Dik­ta­tur in Deutsch­land ein­zu­füh­ren, gegen die man sich im Wider­stand wähnt. Ein wei­te­res starkes Motiv ist die Ver­bin­dung des Corona-Virus mit Migra­tion und Glo­ba­li­sie­rung, also mit Begleit­erschei­nun­gen der moder­nen libe­ra­len Gesell­schaft. In dieser Lesart ist die Corona-Krise ein wei­te­rer Schritt in Rich­tung des ver­meint­lich natür­li­chen Nie­der­gangs der deka­den­ten liberal-demo­kra­ti­schen Zivi­li­sa­tion. Und diesen Nie­der­gang müsse man jetzt noch weiter beschleu­ni­gen, um einen Tag X her­bei­zu­füh­ren, aus dem dann eine neue authen­ti­schere, völ­kisch-natio­na­lis­ti­sche Gesell­schaft begrün­det werden kann.

Also könnte die AfD als Gewin­ner aus der Corona-Krise hervorgehen?

Mat­thias Quent: Das wird sich zeigen. Die Frage ent­schei­det sich weniger an dem Aus­nah­me­zu­stand der eigent­li­chen Pan­de­mie als viel­mehr in Hin­blick auf die dro­hende Wirt­schafts­krise. Ins­be­son­dere der jetzt ver­meint­lich in Auf­lö­sung begrif­fene „Flügel“ um Björn Höcke hat sich stets darum bemüht, die soziale Frage von rechts zu beset­zen. Es wird in den kom­men­den Monaten eine ent­schei­dende Rolle spielen, ob und wie es der radi­ka­len Rechten gelingt, Exis­tenz- und Sta­tus­ängste, wirt­schaft­li­che Pro­bleme und Arbeits­lo­sig­keit zu orga­ni­sie­ren und zu bündeln.

Umfra­gen zufolge muss die AfD gerade aller­dings deut­li­che Ver­luste einstecken. 

Mat­thias Quent: Es gab in dieser Woche Pro­gno­sen, nach denen die AfD an Zuspruch in der Bevöl­ke­rung ver­lo­ren hat. Das liegt daran, dass in einer natio­na­len Kri­sen­si­tua­tion das Ver­trauen eher den­je­ni­gen geschenkt wird, die nicht auf Popu­lis­mus und Fun­da­men­tal­op­po­si­tion setzen, sondern denen poli­ti­sche Sach­kom­pe­ten­zen zuge­schrie­ben werden, diese Pro­bleme auch zu lösen. Die Regie­run­gen bewei­sen jetzt etwas, was der Auto­ri­ta­ris­mus und der Popu­lis­mus der Rechten immer ange­pran­gert und gefor­dert hat, nämlich Effi­zi­enz. Unter diesem Durch­re­gie­ren droht aller­dings die demo­kra­ti­sche Legi­ti­mie­rung dieses Han­delns zu leiden, wenn die jet­zi­gen Frei­heits­be­schrän­kun­gen im Aus­nah­me­zu­stand nach der Pan­de­mie nicht wieder zu 100 Prozent auf­ge­ho­ben werden. Aktuell ver­liert die AfD in Pro­gno­sen an Stimmen, doch wie nach­hal­tig das ist, wird sich erst zeigen. In ein paar Monaten oder in einem Jahr, wenn Deutsch­land wirk­lich in eine Rezes­sion rutscht, wenn sich Fragen danach stellen, wie Glo­ba­li­sie­rung eigent­lich künftig gestal­tet sein soll, dann kann die Situa­tion anders aus­se­hen. Dass die Rechts­ra­di­ka­len geschwächt aus der Corona-Krise her­vor­ge­hen, wie das jetzt schon in manchen Kom­men­ta­ren behaup­tet wurde, ist kei­nes­wegs aus­ge­macht – his­to­ri­sche Studien zu den Folgen von Wirt­schafts­kri­sen legen das Gegen­teil nahe. Wenn die große Schock­starre sich gelöst hat, könnte es den Rechten durch­aus gelin­gen, diese Ver­un­si­che­rung und das Erleben von Ver­letz­lich­keit zu beset­zen und zu instru­men­ta­li­sie­ren. Viel­leicht werden sie darüber nicht unbe­dingt stärker als bisher, aber es ist kei­nes­wegs sicher, dass die jet­zi­gen Stim­men­ver­luste für die AfD wirk­lich in eine nach­hal­tige Schwä­chung münden.

Wie wurde denn die Corona-Pan­de­mie im rechts­ra­di­ka­len Milieu auf­ge­nom­men und diskutiert?

Mat­thias Quent: Anfangs wurde das Corona-Virus häufig mit der Flücht­lings­si­tua­tion an der euro­päi­schen Außen­grenze in Ver­bin­dung gebracht. Dann gab es mehrere Netz­kam­pa­gnen, die Corona und hiesige Asyl­un­ter­künfte ver­knüpft haben. Andere meinten, das Corona-Virus sei nur ein Vorwand, quasi eine Ablen­kungs­stra­te­gie, um einen wei­te­ren „Bevöl­ke­rungs­aus­tausch“ zu betrei­ben. Und es exis­tiert die Vor­stel­lung, die Regie­rung insze­niere das alles, um unter diesem Vorwand endlich das zu tun, was sie angeb­lich schon immer tun wollte, nämlich die Bun­des­re­pu­blik in eine „linke Dik­ta­tur“ zu über­füh­ren. Die Pan­de­mie und die damit ein­her­ge­hen­den Ängste bieten für alles Mög­li­che Pro­jek­ti­ons­flä­chen. Es kur­sie­ren diverse Ver­schwö­rungs­theo­rien, leider längst nicht nur im rechts­ra­di­ka­len Milieu. Es gibt etwa die Erzäh­lung, das Virus stamme aus einem Labor von Bill Gates. Im Iran, aber auch in anti­se­mi­ti­schen Kreisen in Deutsch­land, wird behaup­tet, es handele sich um eine „zio­nis­ti­sche Erfin­dung“. Hier schim­mert das alte anti­jü­di­sche Motiv der „Brun­nen­ver­gif­ter“ durch. Es exis­tie­ren also eine ganze Reihe von unter­schied­li­chen Nar­ra­ti­ven. Und dann gibt es noch einen prak­tisch instru­men­tel­len Umgang mit Corona, etwas, das als eine exklu­sive Soli­da­ri­täts­ar­beit bezeich­net werden könnte. Der „III. Weg“, „Ein­Pro­zent“ und ver­schie­dene AfD-Abge­ord­nete behaup­ten, eigene Soli­da­ri­täts­netz­werke auf­bauen zu wollen. Die wittern in der Corona-Krise ihre Chance, sich als soziale Küm­me­rer zu insze­nie­ren und dadurch weiter nor­ma­li­sie­ren zu können.

Einer­seits wird das Corona-Virus ernst­ge­nom­men, indem „exklu­sive Soli­da­ri­täts­ar­beit“ geleis­tet wird, ande­rer­seits wird behaup­tet, die Corona-Krise sei nur Mittel zum Zweck, um uns in die Dik­ta­tur zu führen. Und dann gibt es noch die­je­ni­gen, die sagen, das Virus gibt es gar nicht. Das ist doch höchst widersprüchlich.

Mat­thias Quent: Absolut. Und genau diese Kon­fu­sio­nen, diese Unein­heit­lich­kei­ten sind auch ein Teil der Antwort darauf, warum es der AfD bisher nicht gelun­gen ist, von der Corona-Krise zu pro­fi­tie­ren. Sie haben einfach keine ein­deu­tige Antwort darauf, auch in ihrem Milieu nicht. Glaubt man nun den Wissenschaftler*innen, die man sonst immer dis­kre­di­tiert, oder nicht? Wenn es um die eigene Gesund­heit geht, ver­trauen die meisten Men­schen im Zwei­fels­fall doch lieber den sprich­wört­li­chen Göttern in Weiß als dem dummen Gerede, das in Whats­App-Gruppen und bei YouTube die Runde macht. Die Rechts­ra­di­ka­len suchen jetzt erst nach Ant­wor­ten und Ansatz­punk­ten und offen­ba­ren dabei einmal mehr ihre Wider­sprüch­lich­keit, die sie einer­seits poli­tik­un­fä­hig machen, ande­rer­seits aber auch gefähr­lich. Denn von der eigenen Unzu­läng­lich­keit kann man am besten ablen­ken, wenn man anderen die Schuld gibt. Ich denke, die Ant­wor­ten von rechts außen werden sich dann eher auf die wirt­schaft­li­chen Kri­sen­fol­gen bezie­hen als auf den Gesundheitsnotstand.

Spä­tes­tens seit 2015 beschwö­ren Rechts­extreme einen Aus­nah­me­zu­stand und werfen der Regie­rung Rechts­brü­che vor. Nun erleben wir tat­säch­lich einen Aus­nah­me­zu­stand, in dessen Zuge viele Grund­rechte ein­ge­schränkt werden. Das ist eine Situa­tion, die die radi­kale Rechte doch freuen könnte.

Mat­thias Quent: Ja, das könnte man denken. Aber das zen­trale Ziel der radi­ka­len Rechten ist, die libe­ra­len Eliten aus­zu­tau­schen, um dann die Gesell­schaft natio­nal und völ­kisch umzu­bauen. „Sou­ve­rän ist, wer über den Aus­nah­me­zu­stand ent­schei­det“, sagte der in der soge­nann­ten Neuen Rechten beliebte Carl Schmitt. Aber nicht sie bewei­sen Sou­ve­rä­ni­tät, sondern die Eliten des als schwach, unsou­ve­rän und „ver­sifft“ ver­ach­te­ten libe­ra­len Staats. Das bedeu­tet, die Rechten wollen einen Aus­nah­me­zu­stand beschwö­ren und auch her­bei­füh­ren, aber unter der eigenen Führung, nicht einen Aus­nah­me­zu­stand, der liberal-demo­kra­tisch ange­führt wird und dessen Anlass und Stoß­rich­tung eine andere ist als ein reak­tio­nä­rer Umsturz, bei dem es eben nicht primär um natio­nale Abschot­tung und illi­be­rale Trans­for­ma­tion geht, auch wenn die aktu­el­len Maß­nah­men dazu gut passen. Darum ist es so wichtig, dass die aktuell schein­bar not­wen­di­gen Maß­nah­men dennoch kri­tisch beglei­tet und rück­stands­los auf­ge­ho­ben werden, sobald es die medi­zi­ni­sche Lage zulässt. Für den Moment ist das nicht der Aus­nah­me­zu­stand, den die Anti­li­be­ra­len sich erhof­fen, weil sie nicht die­je­ni­gen sind, die die Kon­trolle über ihn haben. Letzt­lich geben in der aktu­el­len Situa­tion jene den Ton an, die sie ableh­nen, nämlich libe­rale Eliten und vor allem die Wis­sen­schaft. Wenn man sich die ersten Reak­tio­nen von Donald Trump, Boris Johnson und Jair Bol­so­n­aro anschaut, dann spürt man, dass es ihnen zuwider ist, Wissenschaftler*innen Recht und Macht geben zu müssen.

Viel war dieser Tage auch über Hass und Hetze im Netz zu lesen. Welchen Ein­fluss hat die Corona-Krise darauf?

Mat­thias Quent: Wir erleben nicht nur eine Corona-Pan­de­mie, sondern auch eine Pan­de­mie des Hasses. Gegen ras­sis­tisch mar­kierte Min­der­hei­ten, gegen die eta­blierte Politik, gegen Frauen. Mein Ein­druck ist, dass es eine neue Welle gibt, die sich Bahn bricht, weil es ein neues Thema mit emo­tio­na­lem und kogni­ti­vem Empö­rungs­po­ten­tial gibt, das man ent­spre­chend auf­la­den kann. Schauen Sie nur, mit welchen Hass­bot­schaf­ten auf die Nach­rich­ten von infi­zier­ten Poli­ti­kern wie Fried­rich Merz oder Cem Özdemir reagiert wurde. Da wurden hämi­sche und hass­erfüllte Pos­tings ver­fasst: Corona sei nicht genug, man sollte sie ein­sper­ren oder hin­rich­ten. Erschwe­rend kommt hinzu, dass man mit diesem Virus­ge­halt etwas Kör­per­li­ches dar­stel­len kann. Da wird Ekel und Ver­seu­chung attri­bu­iert, das ist durch­aus her­aus­les­bar aus vielen Pos­tings. Und dieser Hass im Netz könnte weiter zuneh­men, weil mehr Men­schen mehr Zeit haben, sich im Inter­net mit diesen Dingen zu beschäf­ti­gen, wenn sie nicht mehr in der nor­ma­len Art und Weise zur Arbeit gehen oder sich ander­wei­tig mit realen Men­schen aus­tau­schen können. Das heißt, dass dieser globale Stamm­tisch, an dem die toxi­schen Parolen und Gedan­ken geteilt werden, dau­er­haft wird. Hinzu kommt: Wir erleben eine Flut von Fal­sch­nach­rich­ten, die nicht nur von Rechts­ra­di­ka­len kommen, sondern auch von Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern, von Eso­te­ri­kern, von Kam­pa­gnen, die der Kreml steuert, mit dem gemein­sa­men Ziel, die libe­rale Demo­kra­tie zu desta­bi­li­sie­ren. Die sozia­len Netz­werke sind so sehr damit beschäf­tigt, gegen solche Falsch­mel­dun­gen vor­zu­ge­hen, dass sie weniger Per­so­nal dafür ein­set­zen können, Hass-Pos­tings zu löschen. Es bleibt mehr Men­schen­ver­ach­ten­des stehen als vor der Corona-Krise. Das nutzen die Hater jetzt aus, indem sie die Vor­ur­teile und die Wut, die sowieso in ihren Köpfen und Herzen wuchert, dann auch rauslassen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Mat­thias Quent ist Sozio­loge und Grün­dungs­di­rek­tor des Insti­tuts für Demo­kra­tie und Zivil­ge­sell­schaft in Jena. Seine Arbeits­schwer­punkte sind Rechts­ra­di­ka­lis­mus, Radi­ka­li­sie­rung und Hass­kri­mi­na­li­tät. Sein 2019 erschie­ne­nes Sach­buch „Deutsch­land rechts außen“ (Piper, 18 €) wurde jüngst mit dem Preis „Das poli­ti­sche Buch 2020“ der Fried­rich-Ebert-Stif­tung ausgezeichnet.

Das Inter­view führte Jonas Fedders.

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